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Phänomene

Nicht auswerten, selber machen

Bürgerwissenschaftler sammeln eigene Daten

Die Mitarbeit in verschiedenen Projekten ist unterschiedlich anspruchsvoll – für jeden Schwierigkeitsgrad ist etwas dabei. Wem das Anstarren und Markieren auf astronomischen oder teilchenphysikalischen Bildern zu langweilig wird, der kann auch selbst Daten sammeln: Schon ein normales Smartphone reicht als Messinstrument für viele wissenschaftliche Untersuchungen aus.

Lichtverschmutzung: Mit der kostenlosen App kann jeder Daten zum Projekt "Verlust der Nacht" beitragen. © Anja Freyhoff

Mit der Smartphone-App „Verlust der Nacht“ etwa kann jeder Daten über die Lichtverschmutzung des Nachthimmels an seinem Aufenthaltsort sammeln, und gleichzeitig neues über Sternenbeobachtung lernen.

Datenbank aus Naturbeobachtungen

Die Plattform Naturgucker.de begann als soziales Netzwerk für Naturfreunde: Jeder angemeldete Nutzer kann dort eigene Naturfotos hochladen, den Beobachtungsort angeben und die abgebildeten Tier- oder Pflanzenarten bestimmen. Mittlerweile ist daraus eine umfangreiche Datenbank über die Artenvielfalt in Deutschland geworden, die auch Naturforscher nutzen können. Der gesammelte Erfahrungsschatz aller Teilnehmer wirkt sich aus: Ähnlich wie bei Wikipedia kontrollieren die Mitglieder die Qualität der Beobachtungen und Artenbestimmungen gegenseitig. Besonders knifflige Fälle löst ein Fachbeirat, dem auch erfahrene Wissenschaftler angehören.

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Umfassende Daten dazu, wie häufig welche Tierarten an welchem Ort vorkommen, dienen auch dem Umweltschutz. Darum ruft beispielsweise die Umweltschutzorganisation NABU alljährlich zur „Stunde der Wintervögel“ auf. Möglichst viele Teilnehmer im ganzen Land sollen dabei Vögel bestimmen und zählen. Allzu genaue Artenkenntnis ist dazu nicht nötig: Den Umweltschützern geht es ganz besonders um die häufigsten und bekanntesten Vogelarten und darum, wie sich der Bestand dieser „Allerweltsvögel“ entwickelt. Die nächste Zählung ist für den 8. bis 10. Januar 2016 geplant.

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Das Smartphone wird zum Messinstrument

Eine ähnliche Vogelzählung am Bodensee mit Hilfe vieler Bürger hat bereits gezeigt, dass durch das wärmere Klima in der Gegend mehr und mehr Vögel siedeln, die eigentlich im Mittelmeerraum zuhause sind. Und auch bei der Ausbreitung von Schädlingen wie der Zickzack-Blattwespe bitten Forscher die Öffentlichkeit um Hilfe: Je mehr Fundorte bekannt sind, desto genauer ist das Bild, das sich die Wissenschaftler von der Schädlingsplage machen können.

Beim Feinstaub-Projekt iSPEX schließlich wird ein iPhone sogar zum Spektrometer. Dazu ist jedoch ein kleines Zusatzteil erforderlich, dass man nach der Anmeldung beim Projekt zugeschickt bekommt. Vor die Kamera des Smartphones gesteckt, ermöglicht dieser kleine Filter, Spektrum und Polarisation des Tageslichts aufzunehmen. Aus den aufgezeichneten Spektren, der Polarisation und der Beobachtungsrichtung können die Wissenschaftler des Projekts den Feinstaubgehalt der Luft berechnen. Diese Daten fügen sie täglich zu einer globalen Feinstaub-Karte zusammen.

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Tonaufnahmen für die akustische Stadtplanung

Mehr für Töne als für Bilder interessieren sich die Forscher in zwei weiteren Projekten. Für die Aktion „Stadtklang 2015“ sammeln Wissenschaftler unter Leitung von Brigitte Schulte-Fortkamp von der TU Berlin typische Klänge aus den Heimatstädten und Lieblingsorten der Teilnehmer. Aus Alltagsgeräuschen von Verkehrsrauschen bis Vogelzwitschern soll so eine „Klangkarte“ Deutschlands entstehen.

Über tausend Klänge sind seit Beginn der Aktion am 1. August 2015 schon zusammen gekommen. „So ist nun ein wirklich wertvoller Fundus von Geräuschen entstanden“, so Schulte-Fortkamp. Das eingestellte Tonmaterial von insgesamt mehr als vier Stunden Länge könnte Aufschluss darüber geben, welche Geräusche die Menschen bewegen. Menschen auf der Straße könnten so möglicherweise aktiv an der akustischen Gestaltung ihrer Umgebung mitwirken.

Auch für das Forschungsgebiet der Psychoakustik sind solche Aufzeichnungen interessant. Mögliche Lärmbelastung lässt sich so beispielsweise für verschiedene Standorte untersuchen. Die typischen Geräusche von Tieren geben wiederum Hinweise über deren Verbreitung in verschiedenen Lebensräumen. Ähnliche Ziele wie „Stadtklang 2015“ hat auch das internationale Projekt „Sound around you“.

Mit Fleißarbeit Informationen bewahren

Manche Projekte erfordern dagegen weder Fachkenntnis noch Datensammeln, sondern sind im wesentlichen Fleißarbeit: Es geht darum, existierende Daten zu erhalten. Manche naturwissenschaftliche Sammlungen in Museen oder Universitäten sind schon über hundert Jahre alt – ihre Kataloge existieren in keinem Computer. Damit das darin enthaltene Wissen nicht verloren geht, müssen sie digitalisiert werden. In Projekten wie „Notes from Nature“ geht es darum, dieses Wissen zu bewahren. Es gilt, Handschriften in alten Notizbüchern zu entziffern und Notizen über Vögel, Insekten, Pflanzen oder Pilze abzutippen.

Beim Citizen Science Projekt „Old Weather“ kann man in historischen Logbüchern der US-Küstenwache und Navy stöbern und Informationen über das Wetter vor hundert Jahren zusammentragen. Besonders fleißige Teilnehmer können sich sogar eine virtuelle Beförderung bis hin zum Captain erarbeiten. Die Daten sind nicht nur für die Wetterarchive wichtig, sie liefern auch Informationen über das vergangene Klima. Damit können Klimaforscher auch Modelle verbessern, wie sich das Klima in Zukunft entwickeln wird.

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Ansgar Kretschmer
Stand: 16.10.2015

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In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Citizen Science
Wissenschaft für alle

Warum Citizen Science?
Jeder Mensch kann der Forschung helfen

Das passende Projekt für jeden
Online-Plattformen bündeln Citizen Science

Nicht auswerten, selber machen
Bürgerwissenschaftler sammeln eigene Daten

Gamification: Spielerisch forschen
Wissenschaftliche Probleme als Computerspiel

Kickstart für wissenschaftliche Massenarbeit
Kleine Einzelbeiträge helfen dem großen Ganzen

Diaschauen zum Thema

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