Anzeige
Biotechnologien

Fehlgeleitete Zellbewegung

Was Krebs und Arteriosklerose mit Zellwanderung zu tun haben

Zellen kommen leider manchmal auf Abwege. Das kann für unseren Körper ernsthafte Folgen haben. Wenn Zellen nicht so im Organismus wandern wie sie es eigentlich sollten, verursachen sie lebensbedrohliche Krankheiten. Aus ihnen entstehen Tumore oder Entzündungen und damit Herde für ernsthafte Erkrankungen wie Multiple Sklerose (MS) und Arteriosklerose.

Hautkrebszellen bewegen sich vorwärts, indem sie Bläschen ausstülpen und dafür ihr flexibles Skelett (Aktin, rot) immer wieder neu organisieren. Die Zellen bewegen sich in Richtung bestimmter Lockstoffe (Chemokine). Ihre Bewegung wird von Rezeptoren an der Zelloberfläche vorangetrieben. Diese Rezeptoren „riechen“ die Lockstoffe und binden sich an sie. Dadurch baut sich das Zellskelett um und die Zellen wandern in Richtung der Lockstoffe. Hierdurch können Hautkrebszellen des Primärtumors in andere Gewebe vordringen und Metastasen bilden. © Florian Heßner, Volker Gerke, Ursula Rescher / Cells in Motion

Jede Zelle kann mutieren und sich von ihrem ursprünglichen Bewegungsmuster entfernen. Tumore etwa können aus jeder Zellart entstehen. Eine normale Zelle entartet, wächst unkontrolliert, vermehrt sich, versucht zu überleben, verdrängt andere Zellen, der Tumor bildet sogar eigene Blutgefäße, einzelne Tumorzellen schließen sich an das Blutsystem des Körpers an und schwimmen darüber weiter, um im schlimmsten Fall an einer anderen Stelle ihren Raubzug ohne Rücksicht auf Verlust fortzusetzen.

Angelockt durch Cholesterin

Bei MS und Arteriosklerose bewegen sich dagegen ausschließlich Immunzellen verkehrt. Sie machen auf den ersten Blick nichts falsch, sondern schwimmen wie gewünscht im Blut und tasten Gefäßwände nach Stellen ab, an denen sie Krankheitserreger bekämpfen. So weit, so normal. Bei Menschen mit Arteriosklerose locken allerdings nicht Krankheitserreger Immunzellen an, sondern das Blutfett Cholesterin. Dieses hat sich in den Blutgefäßwänden der Patienten festgesetzt.

Arteriosklerose ist eine chronisch-entzündliche Gefäßerkrankung. In Arterienwänden bilden sich cholesterinund calciumreiche Ablagerungen (Plaques), deren Aufreißen zu Herzinfarkt oder Schlaganfall führen kann. Das Bild zeigt ein solches erkranktes Blutgefäß. Entscheidend sind Entzündungsprozesse in der Gefäßwand, die zum Aufreißen der Plaque (grün) führen. Wir untersuchen die Rolle von Fresszellen (blau-violett), die den Entzündungsverlauf beeinflussen. Um sie sichtbar zu machen, geben wir kleinste fluoreszierende Kunststoffkügelchen in den Blutkreislauf, deren Oberfläche so beschaffen ist, dass die Fresszellen sie aufnehmen. © Jan Prodöhl, Lisa Honold, Friedemann Kiefer, Michael Schäfers / Cells in Motion

Die Immunzellen bleiben an diesen Stellen haften und fressen das schmackhafte Cholesterin, um es loszuwerden. Das gelingt ihnen allerdings nicht, vielmehr zerstört es sie selbst. Denn das Cholesterin plustert Immunzellen auf, sie werden zu Schaumzellen, die die Blutgefäße „verkalken“, und sterben mit der Zeit ab. Diese toten Zellen locken weitere eifrige Immunzellen an, die genau den gleichen Prozess durchlaufen wie ihre Vorgänger.

Mit der Zeit wächst in der Gefäßwand dadurch ein Haufen toter Zellen, zu dem immer mehr Immunzellen drängen, bis sich die Gefäßwand entzündet. Davon und von all den abgestorbenen Immunzellen wird die Gefäßwand immer dicker, vor allem aber instabil, bis sie schlussendlich aufplatzt und einen Infarkt auslöst. Wissenschaftler des Exzellenzclusters „Cells in Motion“ forschen an bildgebenden Verfahren, mit denen Ärzte eine solche überschießende Reaktion von Immunzellen auf Cholesterin sehen können. Das Ziel ist es, einzugreifen schon bevor ein solcher Infarkt geschieht.

Anzeige
  1. zurück
  2. |
  3. 1
  4. |
  5. 2
  6. |
  7. 3
  8. |
  9. 4
  10. |
  11. 5
  12. |
  13. 6
  14. |
  15. weiter

wissen|leben – Die Zeitung der WWU Münster; 2015/Nr. 2, 8. April
Stand: 17.04.2015

Teilen:
Anzeige

In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Zellen in Bewegung
Überlebenswichtig und krankmachend zugleich

Auf Wanderschaft
Wie Zellen sich bewegen

Hürden überwinden
Wie Zellen durch Barrieren im Körper wandern

Der Entzündung auf der Spur
Wie Immunzellen aus der Gefäßwand ins Gewebe kommen

Fehlgeleitete Zellbewegung
Was Krebs und Arteriosklerose mit Zellwanderung zu tun haben

Wandernde Zellen auch bei MS
"Eindringlinge" verursachen Multiple Sklerose

Diaschauen zum Thema

News zum Thema

Multiple Sklerose: Widerspruch gelöst
Molekül der Blut-Hirn-Schranke spielt für die Schübe eine entscheidende Rolle

Spermien: Taktik und Technik entscheiden
Samenzellen nutzen ganz unterschiedliche Schwimmtechniken auf dem Weg zum Ziel

Zellwanderung bringt Körpersymmetrie durcheinander
Neuer Mechanismus zur Rechts-Links-Asymmetrie in Huhn und Schwein entdeckt

Tempolimits gibt es auch in der Zelle
Kohlenmonoxid unterbindet Verkehrschaos bei der Zellwanderung

Dossiers zum Thema