Anzeige
Medizin

Männer, Frauen und die Gene

Warum nicht jeder gleich anfällig ist

Der Placebo-Effekt und sein negativer Gegenpart sind ein verbreitetes, geradezu alltägliches Phänomen. Aber nicht alle Menschen scheinen dafür gleichermaßen anfällig zu sein. Während bei einigen schon eine Pseudopille reicht, um komplett schmerzfrei zu werden, reagieren andere selbst bei aufwändigeren Schein-Behandlungen überhaupt nicht. Aber warum?

Der Placebo-Effekt wirkt bei beiden Geschlechtern - aber auf andere Weise © freeimages

Genauso stark, aber anders

Sommer 2008, ein Versuchsraum an der Medizinischen Universitätsklinik Tübingen. Hier führen Paul Enck und seine Kollegen ein Placebo-Experiment der besonders dynamischen Art durch: Ihre Versuchspersonen, gesunde Männer und Frauen, werden auf einen motorbetriebenen Drehstuhl gesetzt, dessen Rotation nach einiger Zeit Übelkeit auslösen kann. Ein Teil der Probanden bekommt kurz vorher etwas Übelschmeckendes verabreicht, verbunden mit der Warnung, dass dies die Übelkeit noch verstärken kann.

Wie erwartet macht sich durch diese Information ein Nocebo-Effekt bemerkbar – interessanterweise aber vorwiegend bei den männlichen Probanden. Die Frauen scheinen weniger anfällig zu sein. Das aber ändert sich, als die Forscher den Versuch etwas abwandeln. Sie wiederholen den Drehstuhltest samt Geschmacksreiz mit einer weiteren Gruppe von Probanden, diesmal aber mehrfach, um eine Konditionierung zu erreichen. Wie sich zeigt, zeigen nun die Frauen den stärkeren Nocebo-Effekt. Nach Ansicht der Forscher zeigt dies, dass zwar beide Geschlechter anfällig für eine Nocebo-Wirkung sind, Männer scheinen aber stärker auf Suggestion zu reagieren, Frauen auf Konditionierung –zumindest in ihrem Experiment.

Stress und Belohnung

Aber es gibt noch andere Faktoren, die unsere Anfälligkeit für den Placebo-Effekt beeinflussen. So zeigen Studien, dass auch die Persönlichkeit eine wichtige Rolle spielen könnte: Menschen, die eher ängstlich und stressanfällig sind, reagieren demnach schlechter auf Placebo-Schmerzmittel als gelassenere, optimistischere Personen.

Der Nucleus accumbens (rot) ist entscheidend für das emotionale Lernen und das Belohnungssystem © gemeinfrei

Eher anfälliger sind demgegenüber Menschen, deren Belohnungssystem bei Aussicht auf einen Geldgewinn besonders aktiv wird, wie Forscher 2007 feststellten. Objektiv messbar war dies an der Aktivität im Nucleus accumbens, einem Zentrum für emotionales Lernen und das Belohnungssystem. Je mehr dieses Zentrum während eines Spielexperiments feuerte, desto stärker sprachen die Probanden später auf eine Placebo-Schmerzbehandlung an. Das lässt sich damit erklären, dass sowohl im Belohnungssystem als auch beim Placebo-Effekt Dopamin im Spiel ist.

Anzeige

Auch die Gene spielen mit

Ob jemand auf ein Placebo reagiert und wie stark, ist möglicherweise sogar genetisch bestimmt: Schon 2008 entdeckten schwedische Forscher, dass ein vermeintlich angstlösendes Placebo-Präparat bei den Probanden am besten wirkten, die zwei bestimmte Genvarianten in sich trugen. Diese beeinflussen die Wiederaufnahme und Synthese von Serotonin im Gehirn – einem Botenstoff, der bei Depression und Angst eine wichtige Rolle spielt.

An einer anderen Stelle im Erbgut wurden dagegen 2012 US-Forscher fündig: In einer Studie zum Reizdarm-Syndrom hatten einige Patienten auch eine Scheinakupunktur als Therapie erhalten. Bei denjenigen, die besonders gut auf dieses Placebo ansprachen, suchten die Forscher gezielt nach Genen, die den Dopamin-Haushalt beeinflussen. Denn dieser Botenstoff war in diesem Fall für die Placebowirkung ausschlaggebend. Tatsächlich stellte sich heraus, dass diejenigen, die eine bestimmte Variante des Catechol-O-Methyltransferase (COMT)-Gens trugen, bis zu sechs Mal stärker auf das Placebo reagierten.

Diese Erkenntnisse zeigen nicht nur, dass es klare individuelle Unterschiede gibt und nicht jeder gleich gut auf Placebos anspricht. Für klinische Studien kann das Wissen um die Anfälligkeit der Probanden sogar entscheidend für das Ergebnis sein. Denn je genauer man einschätzen kann, wie groß der Placebo-Effekt bei den Studienteilnehmern ist, desto besser lässt sich ermitteln, wie gut die tatsächliche Wirkung des getesteten Medikaments ist.

Nadja Podbregar
Stand: 17.10.2014

  1. zurück
  2. |
  3. 1
  4. |
  5. 2
  6. |
  7. 3
  8. |
  9. 4
  10. |
  11. 5
  12. |
  13. 6
  14. |
  15. 7
  16. |
  17. weiter
Teilen:
Anzeige

In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Der Placebo-Effekt
Der verblüffenden Wirkung von Schein-Therapien auf der Spur

Rätselhaftes Phänomen
Warum Zuckerpille und Nadeln heilen und schaden können

Muss man dran glauben?
Die Auslöser des Placebo-Effekts

Mehr als nur Psycho
Was der Placebo-Effekt in Gehirn und Körper bewirkt

Männer, Frauen und die Gene
Warum nicht jeder gleich anfällig ist

Der Stellvertreter-Effekt
Der Placebo-Effekt funktioniert auch über Dritte

In der Zwickmühle
Was bedeutet das für Arzt und Patient?

Diaschauen zum Thema

News zum Thema

Arthroskopie des Kniegelenks bringt nichts
IQWiG-Metastudie: Linderung der Schmerzen und Beschwerden ist nur Placebo-Effekt

Placebo hilft gegen Ekel und Angst
Wirkstofflose Pille lindert negative Gefühle bei Phobien um die Hälfte

Nocebo-Effekt: Medienberichte können krank machen
Reißerische Warnungen vor Gesundheitsrisiken rufen oft echte Symptome hervor

Placebos vom Hausarzt sind kein Einzelfall
Studie: 97 Prozent der Mediziner geben zu, schon Scheinbehandlungen durchgeführt oder verordnet zu haben

Placebo-Effekt kann auch durch unbewusste Signale ausgelöst werden
Unterschwellige Botschaften beeinflussen im Experiment die Schmerzwahrnehmung

Dossiers zum Thema

Krankmacher Stress - Welche Spuren hinterlässt die psychische Belastung in unserem Körper?