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Anthropogeographie

Höher, schneller, weiter

Vernes Leitmotiv trifft den Nerv der Zeit

Die Idee einer Weltreise war keine Erfindung Vernes. Bereits 1870, zwei Jahre bevor er seinen Roman

schrieb, hatte die Zeitschrift „Le Magasin Pittoresque“ den von Verne zitierten Zeitplan veröffentlicht. Auch der Reiseveranstalter Thomas Cook hatte 1871 mit der Möglichkeit einer Weltreise geworben. Dem Verne-Biografen Peter Costello zufolge hat dieser Reiseprospekt den Autor inspiriert.

George Francis Train, das reale Vorbild für Vernes Helden Phileas Fogg © historisch

Offenbar hatte Phileas Fogg auch ein historisches Vorbild. George Francis Train, ein wohlhabender Geschäftsmann aus Boston, der selbst eine Schiffsverbindung zwischen Liverpool und Australien eröffnet hatte, war 1870 tatsächlich in 80 Tagen um die Welt gereist. Später, als Vernes Buch so überaus erfolgreich war, beklagte er sich, die Literaturgeschichte habe ihn, den wahren Phileas Fogg, übergangen.

Rekorde als Trend

Was der Reise des historischen Vorläufers von Vernes Helden fehlt, ist jedoch das Element des Zeitdrucks, das durch den Abschluss einer Wette in die Geschichte kommt. Schafft Phileas Fogg es nicht, binnen 80 Tagen zurück zu sein, verliert er die Hälfte seines Vermögens. Da er die andere Hälfte in Reisekosten investiert, riskiert er nicht weniger als seinen Ruin.

Der Wunsch, Rekorde aufzustellen und wieder zu brechen, ist ein typisches Phänomen der Zeit. Noch um 1900 war es kaum möglich, „von der Zukunft etwas anderes als Tempo und Beschleunigung zu erwarten“, urteilt der Technikhistoriker Joachim Radkau in seinem Buch „Das Zeitalter der Nervosität“. Allerdings entsprang der Ehrgeiz weniger dem Bereich der Technik als dem Sport. So verwundert es nicht, dass auch Vernes Roman seine Zeitgenossen dazu anspornte, die Erde in weniger als 80 Tagen zu umrunden.

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Kein touristisches Interesse - Vernes Held Phileas Fogg ist nur von der Zeit getrieben © Alphons de Neuville/ Léon Benett

„Schwerkörper“ ohne touristisches Interesse

Dass Phileas Fogg von sportlichem Ehrgeiz getrieben ist, verdeutlicht Verne, indem er seinen Helden mit einem Chronometer vergleicht. Vor Antritt seiner Reise ist Foggs Tagesablauf auf die Minute geregelt. Er zeichnet sich durch äußerste Ökonomie der Bewegung aus und wählt immer den kürzesten aller Wege. Anders als sein Diener Passepartout hat er an der Reise keinerlei touristisches Interesse. Mit seinen Reisegefährten plaudert er nicht, er interessiert sich nicht für Land und Leute.

„Er reiste ja auch gar nicht – er war ein Schwerkörper, der entsprechend den Gesetzen der Bewegungslehre eine Erdumkreisung vollzog“, erklärt Verne. Dass Fogg trotzdem im Laufe der Geschichte zu einem Helden wird, ist in erster Linie seinem Mut und seiner Entschlossenheit zu verdanken. So macht er einen Umweg, um eine indische Witwe vor der Verbrennung mit ihrem verstorbenen Gatten zu retten, er trotzt dem Sturm auf einem Lotsenboot im Ostchinesischen Meer und verfeuert zuletzt die hölzernen Aufbauten eines gecharterten Handelsschiffs, dem die Kohle ausgegangen ist.

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Anne Hardy / Forschung Frankfurt
Stand: 11.04.2014

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In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Jules Vernes "Außergewöhnliche Reisen"
Science-Fiction als Wegweiser in die moderne Welt

"Auf unterhaltsame Weise belehren"
Ein Anwaltssohn wird zum Bildungsbeauftragten

Reale Technik - weitergesponnen
Der wissenschaftliche Hintergrund der Romane

Um die Erde in 80 Tagen
Technik lässt den Raum schrumpfen

Höher, schneller, weiter
Vernes Leitmotiv trifft den Nerv der Zeit

20.000 Meilen unter dem Meer
Die Eroberung neuer Räume durch Technologie

Von der Erde zum Mond
Vernes visionärster Roman

Wegweiser in die moderne Welt
Zwischen Bildungsauftrag und mystischer Ästhetik

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