Anzeige
Medizin

Neue Mittel durch ausgeknipste Gene

RNA-Interferenz schafft "Anti-Onkomaus"

Bei der Suche nach neuen Mitteln gegen den Krebshelfen den Forschern auch neue Methoden. So haben deutsche Wissenschaftler vor einiger Zeit eine spezielle „Anti-Onkomaus“ entwickelt. Mit dem neuen Mausmodell soll die Wirkung maßgeschneiderter Wirkstoffe simuliert werden. Dafür haben Forscher eine Art Dimm-Schalter in das Erbgut der Mäuse eingebaut, der krebsauslösende Gene ausbremsen soll.

Labormaus: Ihr Erbgut ist dem unsrigen sehr ähnlich © NCI

Schon seit Jahren sind Mäuse in der Krebsforschung etabliert: Die sogenannten „Onko-Mäuse“ haben maßgeblich zum Verständnis dutzender Erkrankungen beigetragen. Bei diesen Tieren sind einzelne Gene ausgeschaltet, wodurch beliebig Tumore erzeugt und anschließend untersucht werden können. Die drei Entwickler des Knock-out-Mausmodells wurden dafür 2007 mit dem Nobelpreis für Medizin

geehrt.

Vor kurzem hat ein deutsches Forscherteam von der Goethe-Universität in Frankfurt zusammen mit dem Pharmakonzern Bayer Schering und dem Biotech-Unternehmen Taconic Artemis GmbH aus Köln ein neues Modell entwickelt: die „Anti-Onkomaus“. In ihr werden keine Tumore erzeugt, sondern krebsauslösende Gene ausgeknipst. So soll die Wirkung eines maßgeschneiderten Medikaments simuliert werden. Dabei haben die Forscher ein bestimmtes Krebs-Gen namens Plk anvisiert: Daraus entsteht das Enzym Polo-like–Kinase 1, das eine zentrale Rolle bei der Tumorentstehung spielt. Enzyme wie Plk1 übertragen in einer chemischen Reaktion einen Phosphatrest von einem Molekül auf ein anderes. Das macht sie zu einem molekularen Schalter, der die Zellteilung entscheidend reguliert. Mittlerweile wissen die Forscher, dass viele Krebsarten Plk zur Wucherung benötigen.

Mit der Anti-Onkomaus können die Auswirkungen von Krebsmedikamenten im Stoffwechsel simuliert werden, hier im Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung. © German Mouse Clinic /HZI

RNA-Schnipsel legt Gen auf Befehl still

Die Idee, das Gen auszuschalten, um das krebserzeugende Enzym so zu blockieren, lag für das Team um Strebhardt auf der Hand. Doch die Wissenschaftler konnten bisher keine Knock-out-Mausmodelle herstellen: Die Nager waren ohne das Gen schlicht nicht lebensfähig. Plk scheint also nicht nur Krebs zu fördern, sondern auch unentbehrlich für die embryonale Entwicklung der Mäuse zu sein. Die Forscher um Klaus Strebhardt vom Zentrum für Frauenheilkunde und Geburtshilfe der Universitätsklinik Frankfurt ersannen deshalb eine Methode, die das Gen nicht von vornherein stilllegt, sondern erst zu einem beliebigen späteren Zeitpunkt der Entwicklung.

Anzeige

Sie schleusten dazu in die Zellen der Mäuse kurze RNA-Abschnitte von etwa 20 bis 22 Basenpaaren Länge ein. Diese verhindern, dass von dem Krebs-Gen abgelesene Informationen in Proteine umgesetzt werden. Das Besondere: Die RNA-Abschnitte lassen sich mit dem Antibiotikum Doxyzyklin steuern. Sobald dieses verabreicht wird, stoppt die Plk1-Produktion. „Es ist so konstruiert, dass die Bildung von Plk1-spezifischer RNA und damit die Stilllegung des Gens erst durch das Antibiotikum Doxyzyklin eingeleitet werden“, erläutert Strebhardt. Die Forscher haben so einen „Plk-Dimmer“ in das Erbgut der Maus eingebaut, womit das Enzym nach Belieben ausgebremst werden kann.

Gezielter Knockdown verschont gesunde Zellen

Die Methode der RNA-Interferenz ist nicht neu, doch erst das Team um Strebhardt hat diese nun zu einem System mit molekularem Timer weiterentwickelt. Mit Kollegen der German Mouse Clinic vom Helmholtz-Zentrum München und den beiden Münchener Universitäten sowie den Universitäten in Gießen und Hamburg wurden die Mäuse anschließend phänotypisch untersucht. Nach effizientem

Knockdown von Plk1 in verschiedenen Geweben der Maus konnten die Forscher auch nach sechswöchiger Gabe von Doxyzyklin keine massiven strukturellen oder funktionellen Anomalien entdecken. Weiter haben die Wissenschaftler das Verfahren auch an gesunden Zellen in Zellschalen getestet.

Das Ergebnis ist ermutigend: Während die Krebszellen aufhörten zu wuchern und damit einen natürlichen Zelltod starben, blieben gesunde Zellen fast unberührt. „Im Gegensatz zu Tumorzellen

hängen gesunde Zellen nur in sehr geringem Maße von der Plk-Bildung ab. Insofern schadet es auch gesunden Zellen kaum, wenn das Plk-Gen stillgelegt wird, während die Krebszellen gezielt bekämpft werden“, sagt Strebhardt. Diese Vorgehensweise lässt sich auf viele andere Krebs-relevante Zielgene übertragen. „Induzierbare RNA-Interferenz- basierte Mausmodelle stellen eine attraktive Möglichkeit dar, Gene zu kontrollieren, um die gezielte Inaktivierung von Genen zu studieren.“

Die molekularen Dimmer könnten künftig helfen, frühzeitig vorherzusagen, wie gut zielgerichtete Krebsmedikamente wirken und welchen Schaden sie möglicherweise verursachen. Zwischen 500 bis 600 Millionen Euro kostet derzeit die Entwicklung eines neuen Krebsmedikaments. Mithilfe des neuen Mausmodells hofft die Forschergruppe, diese Kosten senken zu können.

  1. zurück
  2. |
  3. 1
  4. |
  5. 2
  6. |
  7. 3
  8. |
  9. 4
  10. |
  11. 5
  12. |
  13. 6
  14. |
  15. weiter


Stand: 25.05.2012

Teilen:
Anzeige

In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Kampf gegen den Tumor
Neue Wege bei der Behandlung von Krebs bei Kindern

Keine kleinen Erwachsenen
Krebs bei Kindern ist anders

Die ganze Familie als Patient
Krebsnachsorge für Eltern und Kinder

Strahlenkanone der besonderen Art
Krebsbehandlung mit Ionenstrahlen

Kampfhund Immunsystem
Mobilisieren der körpereigenen Abwehr gegen den Krebs

Neue Mittel durch ausgeknipste Gene
RNA-Interferenz schafft "Anti-Onkomaus"

Diaschauen zum Thema

News zum Thema

Gentherapie schützt Krebspatienten vor Chemo-Nebenwirkungen
Eingeschleustes Gen bewahrt Knochenmark vor der Zerstörung durch das Zellgift

Krebs: 15 Prozent der Fälle durch Infektionen verursacht
Vor allem vier Erregertypen sind weltweit für knapp zwei Millionen Fälle verantwortlich

Krebszell-Katalog erleichtert Suche nach neuen Krebsmitteln
Forscher katalogisieren genetische Merkmale von fast tausend Zell-Linien

Wie Immunzellen Krebszellen zerstören
Forscher vergleichen Immuntherapie mit herkömmlicher Behandlung

Dossiers zum Thema