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Technik

Das Ende

Die letzten Minuten der Titanic

Montag, 15.April 1912, 00:20 Uhr Bordzeit. Die Stewards haben inzwischen Order erhalten, die Passagiere zu wecken und sie auf das Bootsdeck zu schicken – ein zentrales Lautsprechersystem gibt es nicht. Die Stewards müssen daher von Kabine zu Kabine laufen und an jede Tür hämmern. „Es gab keine geordnete Routine oder organisiertes System der Rettungsmaßnahmen. Planlos rannten alle auf Gängen und Treppen aneinander vorbei“, konstatiert später US-Senator William Alden Smith beim Abschluss des Untersuchungskomitees. Vor allem in der mit weniger Personal ausgestatteten zweiten und dritten Klasse kommen auf hunderte Passagiere nur wenige Stewards – sie haben daher kaum eine Chance, alle rechtzeitig zu alarmieren.

Die Rettungsboote werden nacheinander zu Wasser gelassen - viele sind nur halbvoll. © zeitgenössische Zeichnung (Charles Dixon, 27 April 1912)

Viele Passagiere nehmen die Aufforderung zudem nicht ernst, denn von einem Sinken des Schiffs ist zunächst nicht die Rede. Es soll sich um ein „Bootsmanöver“ handeln, bekommen einige Passagiere gesagt. Und die Titanic scheint zu diesem Zeitpunkt noch stabil, sie hat weder Schlagseite, noch neigt sie sich fühlbar stark nach vorne. Nicht wenige weigern sich daher, die schwankenden Rettungsboote zu betreten. Die auf den oberen Decks trügerisch unveränderte Titanic erscheint ihnen sicherer.

Was sie zudem nicht wissen: Die 16 hölzernen Rettungsboote und vier Rettungsinseln der Titanic reichen ohnehin nicht aus, um alle Passagiere und die Besatzung in Sicherheit zu bringen. Mit einem Fassungsvermögen von rund 68 Menschen pro Boot können maximal 1.178 von ihnen evakuiert werden. Wer zu spät kommt, der hat keine Chance mehr. Denn im eiskalten Wasser des Nordatlantiks stirbt jeder Umhertreibende innerhalb weniger Minuten an Unterkühlung. Über den Ernst der Lage im Unklaren gelassen und von dem auf dem Bootsdeck herrschenden Chaos verunsichert, steigen die Menschen nur zögerlich in die Boote. Wenig hilfreich ist da auch die Tatsache, dass die Bordkapelle auf Anweisung des Kapitäns zunächst fröhliche Ragtime-Musik spielt.

Collapsible D, fotografiert von einem Passagier der Carpathia. © historische Aufnahme

In die Boote

45 Minuten nach der Kollision wird das erste Rettungsboot, Boot 7, zu Wasser gelassen – mit nur 28 Menschen darin. Im Abstand von jeweils wenigen Minuten folgen weitere Boote, auch sie sind meist nur halbvoll. Allmählich aber beginnen immer mehr Passagiere, den Ernst der Lage zu begreifen. Einige von ihnen haben bereits in den unteren Kabinendecks steigendes Wasser gesehen, die Titanic beginnt sich zudem immer weiter nach vorne zu neigen.

Zwei Stunden nach der Kollision hat das Wasser im vorderen Schiffsbereich nahezu alle Decks überspült, der Bug liegt bis auf Höhe des Bootsdecks im Wasser. Auf dem Deck ist inzwischen Panik ausgebrochen: Alle Rettungsboote sind bereits im Wasser, es bleiben nur noch die vier faltbaren Rettungsinseln. Murdoch, Wilde und Lightoller kämpfen auf dem immer schräger werdenden Deck darum, die Inseln aufzuklappen und seeklar zu machen.

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Die Titanic sinkt © Zeitgenössische Zeichnung von Willy Stöwer (1912)

Die Unsinkbare versinkt

Zwei Stunden und neun Minuten nach Kollision, 01:49 Uhr Bordzeit: Das Wasser hat die Vorderseite der Brücke erreicht, das Schiff beginnt endgültig, abzutauchen. Die Rettungsinseln werden über Bord gespült, verzweifelte Passagiere und Crewmitglieder versuchen, sie noch zu erreichen. Kurz zuvor hat Kapitän Smith eine letzte Runde über Deck gedreht und die Parole ausgegeben: „Jeder kämpfe nun für sich selbst.“ Wenig später sieht Bride, wie Smith über Bord springt. Der vordere der vier Schornsteine der Titanic kippt um, sie stellt sich nun immer steiler auf. Überlebende berichten später, sie hätten Geräusche wie von Explosionen oder eine Art Ächzen gehört. Unter Wasser laufen jetzt auch die weiter hinten liegenden Maschinenräume und Kesselräume voll, Schornstein 3 stößt dunklen Rauch aus.

Zwei Stunden und 23 Minuten nach der Kollision, 02:03 Uhr Bordzeit: Die Titanic ist vollständig in den Fluten verschwunden. Der größte Luxusdampfer seiner Zeit, der als fast unsinkbar gefeierte Stolz der White Star Line ist nicht mehr. Mit ihr sterben mehr als 1.500 Menschen. Gerettet werden nur gut 700 Passagiere und Besatzungsmitglieder – wenig mehr als ein Drittel aller Menschen an Bord. Sie werden von der Carpathia aufgenommen, die rund zwei Stunden nach dem Versinken der Titanic die Unglücksstelle erreicht.

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Nadja Podbregar
Stand: 12.04.2012

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In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Titanic: Untergang eines Mythos
Spurensuche hundert Jahre nach der Katastrophe

Das Schiff
Ein Ozeanriese auf Jungfernfahrt

Die Warnungen
Auf dem Weg in die vermeidbare Katastrophe

Die Kollision
Eiskoloss gegen Ozeanriese

Wasser im Bauch
Die ersten Minuten nach der Kollision

Das Ende
Die letzten Minuten der Titanic

Spurensuche
Wie konnte das passieren?

Eingebauter Schwachpunkt
Sparen am falschen Ort: die Eisennieten

Höhere Mächte
Sonne, Mond und Klima standen gegen die Titanic

Lehren aus der Katastrophe
Wäre eine Tragödie wie bei der Titanic heute noch möglich?

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