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Raumfahrt

Heftklammern sind tabu

Die "Wiederaufbereitung" von Atlantis und Co.

Kennedy Space Center, Florida. In drei jeweils gut 2.600 Quadratmeter großen Hallen der Orbiter Processing Facility (OPF) fand der für die Öffentlichkeit unsichtbare, aber vielleicht wichtigste Teil aller Space Shuttle-Flüge statt: Die Vorbereitung auf den nächsten Flug. Diese aufwändigen, rund drei Monate dauernden Restaurierungsarbeiten waren es auch, die einen Großteil des Budgets verschlangen.

Zum letzten mal in der "Garage":Space Shuttle Discovery nach ihrem letzten Flug im März 2011. © NASA/Kim Shiflett

Rundum-Check von außen und innen

„Die Astronauten haben einen guten Job, sie lassen alles einfach aussehen. Unser Job ist es sicherzustellen, dass sie keine Überraschungen erleben, wenn sie das Vehikel betreten“, erklärt Bill Powers. Er ist einer der „Space Craft Operators“, die nach jeder Landung einer Raumfähre deren Systeme kontrollierten, reparierten und für den nächsten Start fertig machten. War eine Raumfähre gelandet, wurde sie in ihre individuell angepasste „Garage“ gezogen und per Hebebühnen eingerüstet, damit jeder Zentimeter ihrer Oberfläche erreichbar war.

In den ersten Tagen entsorgten die Techniker mit Hilfe von 30-Tonnen-Kränen und Rollbrücken mit Teleskoparmen zunächst gefährliche Chemikalienreste, alten Treibstoff, Überbleibsel der letzten Nutzlast und reinigen die Triebwerke. War das geschehen, folgte die akribische Kleinarbeit: Jede Hitzeschutzkachel wurde kontrolliert und gegebenenfalls ausgetauscht, jede Dichtung, jede Leitung und jedes Kabel geprüft. Auf dem Flugdeck wechselten sich pro Schicht zwei Space Craft Operators dabei ab, alle Hebel, Schalter und Displays der Instrumente zu checken.

Ein Techniker bereitet das Shuttle Atlantis nach Mission STS-132 für den Transport von der Landebahn in die Orbiter Processing Facility vor. © NASA/Troy Cryder

Wenn Werkzeuge zur tödlichen Gefahr werden

Für sie galten besonders strenge Bedingungen: „Etwas so harmloses wie eine Heftklammer können wir hier drin nicht zulassen“, erklärt Jim Bolton, Vehikelmanager für die Raumfähre Atlantis. „Im Flugdeck fällt es einfach nur runter und bleibt liegen. Aber während der Vibrationen beim Start und in der Schwerelosigkeit kann die Heftklammer herumwandern und könnte dann einen elektrischen Kurzschluss auslösen. Auch andere Dinge, die hier reinkommen, selbst ein Reinigungslappen, könnte sich in einer Leitung oder der Hydraulik verfangen.“ Um das zu verhindern, wurde jeder Gegenstand, egal wie klein, beim Hinein- und Herausbringen kontrolliert und erfasst.

War die Wiederherstellung des flugbereiten Zustands abgeschlossen, erfolgte der Transfer des Shuttles zur Startrampe. Erst dort wurde der Orbiter mit seinen drei Feststoffraketen und dem gewaltigen externen Treibstofftank verbunden. Auch hier hörten die Tests und Wartungsarbeiten nicht auf. „Wenn das Vehikel zur Startrampe kommt, armieren wir es mit der Pyrotechnik und füllen es mit brennbaren Kohlenwasserstoffen und Ammoniak. Die Systeme sind jetzt aktiv und bereit und müssen ständig überwacht werden. Entsprechend gefährlicher ist das Testen auf dem Launch Pad“, erklärt Meinert. Ein falscher Knopfdruck kann jetzt die gesamte nächste Mission gefährden.

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Space Shuttle Atlantis wird in den Hangar gezogen © NASA/KSC

Auch beim letzten Start der Raumfähre Atlantis am 8. Juli 2011 betreuen die Space Craft Operators das Shuttle buchstäblich bis zum letzten Moment: Einige von ihnen bilden das Closeout-Team, das den vier Astronauten beim Einsteigen hilft und hinter ihnen die Luke verriegelt. Andere verfolgen das Startgeschehen vom Startkontrollzentrum aus. „Wenn man diesen Moment erreicht bei T-0 und weiß, dass man rund acht Stunden früher noch selbst dort oben war und alles für die Besatzung und das Closeout-Team vorbereitet hat, dann macht einen das richtig stolz“, sagt Space Craft Operator Jay Beason.

Der „Space-Coast“ drohen 8.000 Arbeitslose

Wenn die Atlantis als letzte ihrer „Schützlinge“ von der Startrampe abhebt, geht für Beason und viele seiner Kollegen auch in ganz persönlicher Hinsicht eine Ära zu Ende: Rund 8.000 Menschen, so schätzt man, werden in den nächsten Monaten und Jahren ihren Arbeitsplatz verlieren, die meisten von ihnen hochspezialisierte Techniker, Ingenieure und Wissenschaftler.

Ihnen und der gesamten „Space Coast“ Floridas stehen nun harte Zeiten bevor. Sollte US-Präsident Barack Obama bei seiner Ablehnung des „Constellation“-Programms der NASA bleiben, könnte sich die bemannte Raumfahrt in Zukunft nahezu völlig auf kommerzielle Firmen verschieben. Das Kennedy Space Center, Heimat des Shuttle-Programms, wäre dann nahezu überflüssig. Ganze Ortschaften, heute bewohnt von NASA-Angestellten, könnten sich entvölkern.

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Nadja Podbregar
Stand: 07.07.2011

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In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Space Shuttle: Ende einer Ära
Rückblick auf das amerikanische Raumfähren-Programm

Shuttle-Chronik
Die wichtigsten Ereignisse im Überblick

Hehre Ziele und enttäuschte Erwartungen
Warum sind Shuttleflüge so teuer?

Heftklammern sind tabu
Die "Wiederaufbereitung" von Atlantis und Co.

Ohne Shuttle kein Hubble
Orbital-Frachter war trotz allem unverzichtbar

Vehikel der Völkerverständigung
Die Shuttle-Mir-Ära

Columbia: Der Anfang vom Ende
Die zweite Katastrophe nach der Challenger-Explosion

„NASA hat nichts gelernt“
Die Konsequenzen

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