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Phänomene

Keine „Einstein-Pille“

Was bringt Neuro-Enhancement?

Sie gelten als „sanfte Helferlein“, als subtile Wachmacher und Konzentrationsförderer, gleichzeitig sollen die Neuro-Enhancer sicher und relativ nebenwirkungsarm sein. Aber wie sieht die Realität aus? Was können die Mittel wirklich?

Amphetamin-Präparat Adderall © CC-by-sa 3.0

Viele Nutzer von Ritalin und Co. scheinen von der Wirkung der Mittel überzeugt. Auf Studentenwebsites wie „Bored at Harvard“ finden sich Kommentare wie: „Ich habe Adderall um 20:00 Uhr genommen und jetzt ist es 06:30 morgens und ich habe noch kaum geblinzelt“. In der Wochenzeitung „Die Zeit“ berichtet ein anonym bleibender Autor von einem Selbstversuch: „Ritalin ist kein Wundermittel, es stärkt nicht meine Arbeitsmoral, aber zumindest lenkt mich nichts mehr ab. Ich arbeite konzentriert drei, vier Stunden lang.“

Arbeitsgedächtnis verbessert?

Trotz solcher subjektiven Lobeshymnen – objektive Daten zur Wirkung der Mittel auf Gesunde gibt es bisher nur wenige. Studien liefern zudem teilweise widersprüchliche Ergebnisse. So stellten Wissenschaftler des Kings College in London zwar Veränderungen der Stimmung, nicht aber eine Verbesserung der kognitiven Leistungen bei Tests von Modafinil an gesunden jungen Männern fest. Forscher der Universität von Cambridge unter Leitung von Danielle Turner kamen dagegen in ihrer Studie an 60 Probanden zu einem anderen Fazit. In ihrer Studie mussten die Teilnehmer eine Batterie von kognitiven Tests absolvieren, jeweils mit und ohne Modafinil. Darunter waren „Klassiker“, wie das Memorieren von immer längeren Zahlenreihen, das Erkennen visueller Muster oder Tests zur räumlichen Planungsfähigkeit.

Strukturformel von Modafinil, die Verbindung existiert in unterschiedlichen Stereoisomeren. © gemeinfrei

Es zeigte sich, dass die Modafinil-Teilnehmer in diesen Tests tatsächlich besser abschnitten als ihre nicht-gedopten Kollegen. Kurzzeitgedächtnis und Erinnerung schienen verbessert. Keine fördernde Wirkung trat hingegen in Aufgaben zum schnellen Erfassen visueller Informationen und in Aufmerksamkeitstests auf. Wenn es um schnelles Reagieren ging, lagen die gedopten Probanden sogar eher hinten. Turner und ihre Kollegen vermuten daher, dass das Modafinil die Teilnehmer länger nachdenken lässt und damit tendenziell richtiger. Auch einige Studien zur Wirkung von Ritalin deuten auf eine leichte Verbesserung des Arbeitsgedächtnisses hin, andere berichten nur von einer Veränderung der subjektiven Einschätzung der Leistung.

Leistungsschwächere profitieren mehr

Es gibt allerdings einen Haken: Die Pillen machen niemanden zu einem Einstein. Am meisten profitieren diejenigen vom Gehirn-Doping, so die Erkenntnis britischer Forscher, die einen eher niedrigeren IQ besitzen. Modafinil bewirkt bei ihnen stärkere Verbesserungen in Aufmerksamkeitstests und beim Gedächtnis als bei Personen, die ohnehin schon zu den geistigen Überfliegern gehören. Ein professioneller Pokerspieler beschreibt die Wirkung von Modafinil gegenüber der Journalistin Margaret Talbot so: „Es macht dich nicht schlauer, aber es hilft dir, die Werkzeuge, die du besitzt für einen längeren Zeitraum besser zu nutzen.“

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Ähnliches bestätigt auch eine großangelegte Studie an amerikanischen Universitäten, in der mehr als 10.000 Studentinnen und Studenten zu ihrem Konsum leistungssteigernder Mittel befragt wurden. In ihrem Fazit charakterisieren Sean McCabe und seine Kollegen von der Universität von Michigan den typischen Nutzer von Neuro-Enhancern als „männlich, weiß, Mitglied in einer Studentenverbindung und mit eher schlechteren Noten.“

Was bringt Hirn-Doping beim Schachspielen? © SXC

Schach als Nagelprobe

Auf eine besonders anspruchsvolle Probe stellt den Neuro-Enhancer Modafinil zurzeit eine Studie an der Universität Mainz: das Schachspiel. Wegen seiner komplexen Anforderungen an das analytische und strategische Denken, an Gedächtnis, aber auch Entscheidungsfähigkeit und Emotionskontrolle, galt das „Spiel der Könige“ bisher als relativ dopingfreie Zone. Spieler, die sich mit Amphetaminen aufputschten oder Betablocker gegen Nervosität nahmen, gab es zwar immer wieder mal, oft spielten sie aber gedopt schlechter als zuvor. Durchsetzen konnte sich das Doping im Schach daher nie so richtig.

Ändern könnte sich dies durch die Entdeckung vermeintlich subtiler und gezielter wirkender Neuro-Enhancer wie Modafinil. Unter anderem deshalb sollen nun 40 Schachspieler in Partien gegen einen Schachcomputer zeigen, ob und welchen Unterschied Koffein, Ritalin, Modafinil oder ein Placebo machen. In der doppelblinden Studie wissen dabei weder Mediziner noch Probanden, welches Mittel sie gerade erhalten. Klar ist nur, dass jeder Teilnehmer im Laufe der Spiele jede Wirksubstanz einmal bekommt. Ob das Doping etwas bringt, wird sich allerdings frühestens im Herbst 2011 zeigen, dann sollen die Auswertungen abgeschlossen sein.

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Nadja Podbregar
Stand: 17.06.2011

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In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Doping fürs Gehirn
Neuro-Enhancement und die Folgen

Akademiker-Elite: Alle nur gedopt?
„Nature“-Leser outen sich

Keine „Einstein-Pille“
Was bringt Neuro-Enhancement?

Übersteuerung als Dauerzustand
Wie wirken Ritalin und Co im Gehirn?

Ungeprüfte (Neben-)Wirkung
Risiken von Neuro-Enhancern

Rebound
Gewöhnungseffekte und Suchtpotenzial

Nur eine Frage der Zeit?
Die Verbreitung von Neuro-Enhancern

(K)eine Frage der Fairness?
Gehirn-Doping, Gerechtigkeit und Chancengleichheit

Die Rote Königin
Vom „Kann“ zum „Muss“?

Optimierte Kinder
Neuro-Enhancer als Förderhilfe für den Nachwuchs?

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