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Medizin

Alles nur Placebo?

Warum auch eine Scheinbehandlung wirken kann

Herr X, als Migränepatient in homöopathischer Behandlung, hat durchaus gute Chancen, seine Kopfschmerzen loszuwerden. Die fünf Globuli, die er brav dreimal täglich einnimmt, haben damit allerdings nach Ansicht der meisten Wissenschaftler überhaupt nichts zu tun. Denn das, was hier wirkt, ist nichts anderes als der Placeboeffekt.

Placebos: auch Scheinmedikamente wirken. Studien haben ergeben, dass dabei auch die Farbe eine Rolle spielt: Rote Pillen wirken besonders gut. © SXC

Scheinbehandlung hemmt Schmerz – auch im Rückenmark

Placebo, abgeleitet vom lateinischen „ich werde gefallen“, bezeichnet ein Wirkstoff-freies Scheinarzneimittel, aber auch eine Scheinbehandlung. Seit langem ist bekannt, dass dieses bei Menschen medizinisch messbare Wirkungen auslösen kann. So erlebten 82 Prozent der Patienten, die Mitte der 1990er Jahre statt des Schmerzmittels Naproxen unwissentlich ein Placebo erhalten hatten, eine deutliche Schmerzlinderung. Die Wirkung des Placebos geht dabei weit über das subjektive Erleben hinaus, wie Mediziner des Uniklinikums Hamburg-Eppendorf 2009 in „Science“ nachgewiesen haben: Patienten, die in dieser Studie ein Scheinschmerzmittel erhalten hatten, spürten nicht nur keinen Schmerz, auch die Aktivität der schmerzleitenden Nervenzellen in ihrem Rückenmark war deutlich reduziert.

Erwartung beeinflusst Reaktion

Welchen Einfluss dabei die Erwartungen des Behandelten haben, ob bewusst oder unbewusst, zeigte unter anderem eine bereits 1970 an Asthmatikern in New York durchgeführte Studie. Die Ärzte verabreichten den Versuchspersonen entweder Isoproterenol, ein die Bronchien erweiterndes Medikament, oder Carbachol, ein verengendes und damit die Atemnot verschlimmerndes. Jeweils die Hälfte der Patientengruppe wurde jedoch über die wahre Behandlung getäuscht, die Ärzte erzählten ihnen, sie hätten das genau gegenteilige Mittel bekommen. Das Erstaunliche daran: Die Asthmatiker, die das Bronchien verengende Carbachol als vemeintliches Isoproterenol erhalten hatten, fühlten sich nicht nur subjektiv wohler, Messungen des Lungenvolumens und des Luftstroms bestätigten dies auch.

Dass der Placeboeffekt sogar bei Kleinkindern und Tieren wirkt, haben ebenfalls einige Studien belegt. Nach Ansicht der Wissenschaftler könnte dies beispielsweise dadurch erklärt werden, dass sich die positive Erwartungshaltung der Eltern oder des Tierhalters nonverbal überträgt. Gleichzeitig wirkt sich vermutlich auch eine erhöhte Zuwendung und Aufmerksamkeit positiv aus.

Spritzen, beispielsweise mit reiner Kochsalzlösung, erzeugen einen starken Placeboeffekt. © SXC

Homöopathie als Placeboeffekt

Soweit so gut. Was aber hat das alles mit Homöopathie zu tun? Ziemlich viel, wie beispielsweise Rainer Wolf vom Biozentrum der Universität Würzburg und Jürgen Windeler vom Institut für medizinische Biometrie der Universität Heidelberg meinen: „Die meisten Erfolge hat die Homöopathie bei Erkrankungen, bei denen Placebos bei rund 50 Prozent der Patienten helfen können: bei Magengeschwüren, Schlaflosigkeit, Verstopfung, Angina pectoris, Migräne.“ Andere häufig mit Homöopathie „geheilte“ Erkrankungen, wie beispielsweise Rückenschmerzen oder Erkältungen, verschwinden auch ohne Behandlung nach einer gewissen Zeit, bei Rückenschmerzen macht dies nach einem Monat einen Anteil von bis zu 80 Prozent aus.

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Wirkung von Glauben und Zuwendung

Bloßer Zufall? Nach Ansicht vieler Forscher nicht. Denn sie sehen die eigentlich wirksame Komponente der homöopathischen Therapie nicht in der direkten Wirkung des Präparats. Stattdessen liegt das Geheimnis im Glauben an die Wirksamkeit der Therapie seitens der Patienten und in der intensiven Zuwendung und Aufmerksamkeit durch den behandelnden Homöopathen.

„Schulmediziner sind eben häufig sehr kurz angebunden; naturheilkundlich ausgerichtete Mediziner nehmen sich mehr Zeit, haben mehr Empathie, bauen eine bessere Patienten-Beziehung auf. Das ist sozusagen eine Art Psychotherapie, die da wirksam ist“, konstatiert Edzard Ernst, Leiter der Abteilung für Komplementärmedizin an der Universität von Exeter 2008 in einem Interview mit dem Magazin Technology Review. Seiner Meinung nach könnten viele Schulmediziner zumindest in dieser Hinsicht durchaus etwas von ihren homöopathischen Kollegen lernen. An der Unwirksamkeit der homöopathischen Präparate aber ändert dies, so Ernst, nichts. „Von der Homöopathie war ich als Kliniker ja mal ganz beeindruckt. Dann aber hat sich in den letzten zehn Jahren sehr eindeutig herausgestellt: Homöopathika sind Placebos.“

Dass eine homöopathische Behandlung dennoch unter bestimmten Bedingungen durchaus nützlich sein kann, bestreitet der Forscher jedoch nicht: „Es gibt allerdings Zustände, wo man keine klare Diagnose stellen kann und wo es dementsprechend keine effektive konventionelle Therapie gibt. Ich denke, dass es in diesem Bereich durchaus vertretbar ist, Homöopathika bewusst als Placebos einzusetzen.“

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Nadja Podbregar
Stand: 26.03.2010

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In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Homöopathie
Sanfte Medizin oder moderner Aberglaube?

Homöopathie im Netz
Links und Videos zum Thema

Wie alles begann
Samuel Hahnemann und der Chinarindenversuch

Homöopathie statt „Allopathie“
Das Prinzip des Ähnlichen

Geschüttelt, nicht gerührt
Das Prinzip der „Potenzierung“

Das Gedächtnis des Wassers
Wie die homöopathischen Präparate wirken sollen

Hilft bei Weinerlichkeit…
Vom Symptombild zum Präparat

Alles nur Placebo?
Warum auch eine Scheinbehandlung wirken kann

Der Metastudien-Streit
Linde versus Egger

Schummel mit In-vitro-„Beweisen“
Der Fall des Leipziger Belladonna-Experiments

Die Überdosis
Wann wird Homöopathie gefährlich?

„Malaria-förmiges Loch in der Lebenskraft“
Homöopathie und Infektionskrankheiten

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Warum Placebos funktionieren
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