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Medizin

Geschüttelt, nicht gerührt

Das Prinzip der „Potenzierung“

Es gibt sie als winzige weiße Kügelchen oder als Tinkturen. Auf ihren Etiketten stehen meist kryptische Bezeichnungen wie „Nux vomica“ oder „Pulsatilla“, garniert mit Buchstaben-Zahlenkombinationen wie D6, D20 oder C30. Aber was genau verbirgt sich dahinter? Und was steckt drin?

Feste Stoffe werden im Mörser zerrieben © Andreas Giessauf/CC-by-sa 3.0

Klar ist: Mit Naturheilkunde oder Pflanzenmedizin hat Homöopathie nichts zu tun. Denn die Bandbreite ihrer Ausgangssubstanzen ist schier unendlich: vom Schlangen- oder Pflanzengift, Metallen und Säuren über Tintenfische und Honigbienen bis hin zu sterilisierten menschlichen Sekreten reicht das Spektrum. Viele Mittel basieren auf hochgiftigen Substanzen wie Arsen, Quecksilber oder der Tollkirsche. Doch fragt man einen Chemiker oder Pharmakologen nach dem Inhalt eines solchen homöopathischen Arzneimittels, wird die Antwort oft ebenso knapp wie eindeutig ausfallen: „Nichts“.

Das Schütteln macht’s

Denn damit eine Ausgangssubstanz im homöopathischen Sinne wirkt, muss sie erst einer speziellen Verdünnungsprozedur, dem so genannten „Potenzieren“ unterzogen werden. Dafür wird ein Tropfen eines Extrakts der Ausgangssubstanz, der so genannten „Urtinktur“, mit neun Tropfen einer Wasser-Alkoholmischung gemischt und anschließend auf genau vorgeschriebene Weise geschüttelt. Auf der Website des Zentralvereins der homöopathischen Ärzte heißt es dazu: „Das Wesentliche ist dann die Zufuhr von Energie durch zehn Verschüttelungsschläge per Hand auf einen harten, aber elastischen Untergrund. Dies geschieht in einem Zweidrittel gefüllten Fläschchen.“

Von der so erzeugten Lösung entnimmt man nun wieder einen Tropfen und wiederholt das ganze Prozedere so lange, bis die gewünschte Verdünnung erreicht ist. Bei festen Ausgangssubstanzen erfolgt die Potenzierung durch ein spezielles Zerreiben mit Milchzucker. Das Maß der Verdünnung wird dabei als Potenz angegeben, gekennzeichnet durch einen Buchstaben: D steht für Dezimal und damit eine Zehnerpotenz, C steht für Centesimal, eine Hunderterpotenz. D1 entspricht demnach einer Verdünnung von 1:10, D3 entspricht 1:1.000 und D12, eine häufig eingesetzte Dosierung, bereits eins zu einer Billion – das entspricht einem Tropfen Wasser auf 25 olympische Schwimmbecken. Eine Dosierung von D20 ist bereits vergleichbar mit einer einzigen Tablette Aspirin auf die Wassermenge des gesamten Atlantiks.

„Weniger hilft mehr“

Soweit, so gut. Doch jetzt wird es spannend: Denn während in der Natur – nicht zuletzt auch in unserem eigenen Körper – ein klares Dosis-Wirkungsgesetz gilt: Je höher die Dosis, desto ausgeprägter die Reaktion, soll dies bei der Homöopathie nicht der Fall sein. Hier heißt es stattdessen: Je höher die Verdünnung, desto wirksamer das Mittel. „Moderne Homöopathen wählen eine umso höhere Potenz, je tiefer die Pathologie liegt. Bei akuten Erkrankungen werden des Öfteren Tiefpotenzen verschrieben. In chronischen Fällen, bei denen auch die Gemüts-, Erlebnis- oder Empfindungsebene betroffen ist, werden in der Regel Hochpotenzen verschrieben“, erklärt der Hamburger Heilpraktiker Philip Witt dazu auf seiner Website.

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D23: Ein Tropfen Wasser auf das Mittelmeer © SXC

Viele homöopathische Präparate werden daher als so genannte Hochpotenzen verkauft, als D30, C30 oder sogar LM-Potenzen. Letztere beruhen auf einer Verdünnungsreihe, bei der jeweils ein Substanztropfen mit 49.999 Tropfen des Lösungsmittels verschüttelt werden. Doch auch schon C30 entspricht einer Konzentration von eins zu 10 hoch 60, einer Eins gefolgt von 60 Nullen. Um diese Verdünnung zu erzielen, müsste man ein einziges Molekül in einem Wasservolumen auflösen, das eine Kugel von 150 Millionen Kilometern Durchmesser füllen würde. Diese Wasserkugel würde ziemlich genau von der Erde bis zur Sonne reichen. Da allerdings unser Döschen mit dem Präparat um einiges kleiner ist als diese Kugel, ist die Wahrscheinlichkeit, dass das eine Molekül gerade bei uns enthalten ist, verschwindend gering.

Avogadro und die Teilchen

Wie viel Moleküle maximal in einem bestimmten Volumen eines Gases oder einer Flüssigkeit vorhanden sein können, wissen wir spätestens seit 1811. Damals erkannte der italienische Physiker Amadeo Avogadro, dass gleiche Volumina von idealen Gasen unter gleichen Bedingungen immer auch die gleiche Anzahl von Teilchen enthalten, nämlich 6×10 hoch 23. Daraus leiteten sich später Berechnungsmethoden auch von nicht idealen Gasen und Flüssigkeiten ab. Und aus diesen klaren physikalischen Gesetzmäßigkeiten ergibt sich auch, dass in homöopathischen Dosierungen von höher als D23, was einer Verdünnung von eins zu 10 hoch 23 entspricht, kein Molekül des Ausgangsstoffs mehr enthalten sein kann.

Das allerdings irritiert die Homöopathen nicht im Mindesten. Denn für sie ist ohnehin das Molekül nicht der Akteur im Wirkungsgeschehen…

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Nadja Podbregar
Stand: 26.03.2010

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In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Homöopathie
Sanfte Medizin oder moderner Aberglaube?

Homöopathie im Netz
Links und Videos zum Thema

Wie alles begann
Samuel Hahnemann und der Chinarindenversuch

Homöopathie statt „Allopathie“
Das Prinzip des Ähnlichen

Geschüttelt, nicht gerührt
Das Prinzip der „Potenzierung“

Das Gedächtnis des Wassers
Wie die homöopathischen Präparate wirken sollen

Hilft bei Weinerlichkeit…
Vom Symptombild zum Präparat

Alles nur Placebo?
Warum auch eine Scheinbehandlung wirken kann

Der Metastudien-Streit
Linde versus Egger

Schummel mit In-vitro-„Beweisen“
Der Fall des Leipziger Belladonna-Experiments

Die Überdosis
Wann wird Homöopathie gefährlich?

„Malaria-förmiges Loch in der Lebenskraft“
Homöopathie und Infektionskrankheiten

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