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Regionen

Lake Wostok als biologische Wundertüte

Mikroben und noch viel mehr?

„Lake Wostok ist völlig frei von Störungen. Das jüngste Wasser im See hat ein Alter von mindestens 400.000 Jahren. Es weiß nichts von Menschen, fossilen Brennstoffen oder Kunststoffen. Der See ist ein Fenster zu ursprünglichen Lebens- und Klimabedingungen“, konstatiert Robin Bell vom New Yorker Lamont-Doherty Earth Observatory (LDEO).

Die Geophysikerin fasst so in wenigen Worten einiges von dem zusammen, was den Lake Wostok für Wissenschaftler so interessant macht. Biologen glauben beispielsweise, dass sich im Laufe der Evolution im See ungewöhnliche und einzigartige Organismen, vor allem in Form von Mikroben, entwickelt haben könnten. Ihre Annahme basiert vor allem auf der Analyse eines Eisbohrkerns, den ein internationales Wissenschaftlerteam im Jahr 1998 aus der 4.000 Meter dicken Eisschicht über dem Lake Wostok gewonnen hat.

Lake Wostok - perspektivische Ansicht der Eisoberfläche © Michael Studinger / Lamont-Doherty Earth Observatory

Lebewesen am laufenden Band

In der Tat offenbarten die Untersuchungen von Eiskernproben durch Wissenschaftler um Richard Hoover vom Marshall Space Sciences Lab der NASA und Sabit S. Abyzov von der Russischen Akademie der Wissenschaften Überraschendes: „Wir haben eine Reihe von wirklich bizarren Dingen gefunden – Dinge, die wir nie zuvor gesehen haben“, so Hoover. „Es gibt alle möglichen Mikroorganismen im Eis. Einige sind leicht als Cyanobakterien, Bakterien, Pilze, Sporen, Pollenkörner und Diatomeen zu erkennen, andere aber sind uns völlig unbekannt.“

Solche Lebewesen fanden sich in allen Bereichen des Eisbohrkerns – und dieser ist immerhin mehr als 3.600 Meter lang und das untere Ende stammt aus Regionen von nicht viel mehr als 100 Meter über der Seeoberfläche.

Besondere Anpassungen an einen extremen Lebensraum

Wie die Forscher anschließend weiter ermittelten, sind die untersten angebohrten Eisschichten rund 420.000 Jahre alt. Sie schließen daraus, dass sich die Eisdecke über dem See mindestens vor 500.000 bis einer Million Jahren geschlossen hat. Sicher abgeschirmt von fast allen äußeren Einflüssen, hatte die Evolution dort seitdem Zeit genug, einzigartige und ungewöhnliche Lebensformen hervorzubringen. Mit besonderen Anpassungen an die extremen Bedingungen, ungewöhnlichen Überlebensstrategien und bisher unbekannten Energiequellen.

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Fossilienschatz im Sediment?

Doch nicht nur im bisher unberührten freien Wasser des Lake Wostok hoffen die Wissenschaftler auf spektakuläre Funde, auch in den mehrere hundert Meter dicken Sedimenten am Seegrund warten vermutlich noch zahlreiche Überreste von uralten Lebewesen auf ihre Entdeckung.

Denn als sich vor langer Zeit das Eis über dem See schloss, kam es aufgrund eines plötzlichen Nahrungsmangels zu einem gewaltigen Massensterben. Auch Licht für Photosynthese-treibende Algen oder Wasserpflanzen gab es nicht mehr. Überreste der Organismen wie Skelette oder Schalen sanken zum Boden des Gewässers und sind in den Sedimenten bis heute vermutlich gut erhalten geblieben.

Gelänge es diesen biologischen Schatz zu heben, könnten Evolutionsbiologen längst vergangene Lebenswelten rekonstruieren und mehr über das Wirken der Evolution erfahren.

Streit um Seeeroberung

Könnte, hätte, wenn und aber: Die Geheimnisse von Lake Wostok zu lösen und weitere wichtige Entdeckungen zu machen, wäre vor allem durch einen direkten Vorstoß in den See möglich – Wasser- und Sedimentproben inklusive. Doch über die Frage ob, wann und wie eine solche Eroberung des Sees stattfinden soll, ist mittlerweile ein internationaler Streit entbrannt.

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Stand: 07.11.2008

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In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Lake Wostok
Rätselhafte Wasserwelt im ewigen Eis

Welt ohne Licht
Unberührter Lake Wostok

Lake Wostok als biologische Wundertüte
Mikroben und noch viel mehr?

See in Gefahr?
Russen bohren jungfräuliches Gewässer an

Mit Hydrobot in die verlorene Welt
Lake Wostok als Modellversuch

Aus eins mach zwei
Lake Wostok kein einheitliches Gebilde

Lake Wostok im Miniaturformat
Forscher bauen See im Labor nach

Ein Netzwerk von Antarktis-Seen
Einfluss auf Klima und Meeresspiegel

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