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Der biedere Tiervater

Brehm aus heutiger Sicht

Ihm mangele es an akademischer Objektivität, ist einer der häufigsten Vorwürfe, den Kritiker dem Populärwissenschaftler Brehm mach(t)en. Zu seiner Zeit wurde Brehm dennoch von vielen respektvoll „Tiervater“ genannt. Doch wie diese Formulierung so erscheinen auch seine Texte heute oft bieder oder volkstümlich.

Bewegungen sind träge und selbst der Lauf fördert nur wenig, obgleich er aus einer Reihe von paßartigen Sprüngen besteht. In den Baumkronen dagegen klettert das Thier mit großer Sicherheit und ziemlich hurtig umher. Dabei kommen ihm der abgesonderte Daumen seiner Hinterhände, mit welchem es die Aeste umspannen und festhalten kann, und der Rollschwanz gut zu statten. Nicht selten hängt es sich an letzterem auf, und verbleibt stundenlang in dieser Lage. Sein schwerfälliger Bau hindert es freilich, mit derselben Schnelligkeit und Gewandtheit zu klettern, wie Vierhänder oder Nager es vermögen; doch ist es auf dem Baume so ziemlich vor Feinden geborgen. Unter seinen Sinnen ist der Geruch besonders ausgebildet und das Spürvermögen soll sehr groß sein. Gegen blendendes Licht zeigt es Empfindlichkeit und vermeidet es deshalb sorgfältig.“ © Projekt Gutenberg

Da erscheint die Gazelle als Sinnbild weiblicher Schönheit und äugt, auf ihre Schnelligkeit vertrauend, sorglos auf Kamelkarawanen. Alleinstehende Alk-Männchen bebrüten auf den Schärenfelsen als aufopferungsvolle „Hausfreunde“ die Eier benachbarter Paare. Das Opossum gilt laut Brehm „zu Recht als ein höchst widriges Geschöpf“. „Hässlich und im höchsten Grade abstoßend und widerlich“ ist auch der Beutelteufel. „Die geistigen Fähigkeiten der Flatterthiere“, findet er, „sind keineswegs so gering, als man gern annehmen möchte, und strafen den auf ziemliche Geistesarmut hindeutenden Gesichtsausdruck Lügen.“ Und während er in den Pavianen die „hässlichsten, rüdesten, flegelhaftesten und deshalb widerwärtigsten Mitglieder der ganzen Ordnung“ sieht, sind die Meerkatzen für ihn „die schönsten, nettesten und gemüthlichsten“ unter den Affen.

Dieses persönliche Urteil und die Vermenschlichung, die im Original-„Brehm“ die Regel waren, gelten heute nicht mehr als wissenschaftlich. In den über 200 Auflagen des „Tierlebens“ verschwanden deshalb nach und nach die blumigen Beschreibungen aus Brehms Feder.

Opossum oder Beutelratte, „Brehms Tierleben“ © Projekt Gutenberg

Obwohl Brehm die für seine Zeit ungewöhnliche Verhaltensforschung mit begründete, geschah dies doch aus einer noch sehr anthropozentrischen Sicht. Die im Laufe der Jahrzehnte überholten evolutionstheoretischen, genetischen oder verhaltensbiologischen Fehlinterpretationen Brehms wurden deshalb ebenso aus den Neuauflagen des „Tierleben“ getilgt. Die letzten der allein in Deutschland erschienenen 200 Ausgaben von „Brehms Tierleben“ enthalten aus diesem Grund längst keinen der Originaltexte mehr.

Heute sind die Werke Brehms meist nur noch im Antiquariat zu haben. Den Original-„Brehm“ gibt es höchstens in Auszügen, wobei die Bilder im Vordergrund stehen. Viele Verlage haben ihn in den vergangenen Jahren sogar ganz aus dem Programm genommen. Der Markenname „Brehm“ verblasst langsam. Außergewöhnlich bleiben das „Tierleben“ und die Karriere des Wissenschaftlers dennoch…

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Stand: 01.04.2005

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In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Alfred Edmund Brehm
Der Vater des Tierlebens

Prägung am Blauen Nil
Fünf Jahre Afrika

Lebensziel: Schriftsteller
Die Berufung des Alfred Brehm

Das Leben der Vögel
Fingerübung für das „Tierleben“

Der streitsame Herr Zoodirektor
Brehms Gastspiele in Hamburg und Berlin

Brehms Tierleben
Geschichte eines zoologischen „Longsellers“

Im Galopp durch Sibirien
Über China zur Kara-See

Bauanleitung für kirgisische Jurten
Brehm als Ethnologe

Schicksalsschläge am Lebensende
Brehm, der Familienmensch

Der biedere Tiervater
Brehm aus heutiger Sicht

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