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Geologie/physische Geographie

Bernsteinzimmer – Klappe, die Zwote

Die Auferstehung des Achten Weltwunders

Restaurator beim Legen eines Bernsteinmosaiks © E.ON Ruhrgas AG

Für manch einen ist es schon Weltwunder Nummer Neun – die originalgetreue Rekonstruktion des verschwundenen Bernsteinzimmers, das selbst als Achtes Weltwunder galt. Zur 300-Jahr-Feier St. Petersburgs im Jahr 2003 wurde das Bernsteinzimmer wieder eröffnet, und wie sein Vorgänger ist es seitdem das prunkvollste Zimmer im Katharinenpalast von Zarskoje Selo bei St. Petersburg.

Ein waghalsiges Unternehmen

Bereits 1979 hatte die sowjetische Regierung beschlossen, das Bernsteinzimmer nachzubauen. Ein waghalsiges Unterfangen begann, neue Werkstätten wurden gegründet, Restauratoren eingestellt, und wie 250 Jahre zuvor erlebte Zantarnyi an der samländischen Ostsseeküste einen Bernsteinrausch.

Damals hatte Friedrich I., König von Preußen, ein Arbeitszimmer für sein Schloss in Charlottenburg in Auftrag gegeben und ordnete an, dieses ganz und gar mit Bernstein auszukleiden. Bernsteinschnitzer aus Kopenhagen und Danzig machten sich daraufhin ans Werk. Erweitert wurde das Original später in Russland unter Elisabeth I. Der preußische Königshof schickte extra Ergänzungen aus Bernstein, um den 100 Quadratmeter großen Saal im Schloss von Zarskoje Selo einzurichten. 24 Wandspiegel aus Venedig, Edelsteinintarsien, Florentiner Mosaike aus Marmor, 130 bernsteinverzierte und vergoldete Leuchter sowie zahlreiche Tabaksdosen, Schachfiguren und Kästchen vollendeten schließlich das Interieur.

Das neue Bernsteinzimmer © E.ON Ruhrgas AG

All diese Pracht hieß es nun zu rekonstruieren. Der handwerklichen Umsetzung gingen einige Jahre an Forschungsarbeit voraus. Zeichnungen, Fotos, ein einziges davon in Farbe, und 74 Splitter und Fragmente des Originals, die bei der Demontage abgebrochen waren, lieferten die einzigen verfügbaren Informationen. Erst 1986 begann die eigentliche Wiederherstellung. Doch 1997 kam das vorläufige Ende. Dem Staat ging das Geld aus für die aufwendige Rekonstruktion. Erst eine Finanzspritze der Ruhrgas AG aus Deutschland über 3,5 Millionen Euro ermöglichte 1999 die Wiederaufnahme der Arbeit und schließlich die Vollendung im Jahr 2003.

Barockes Puzzle

Mit dem neuen Bernsteinzimmer wurde ein eigenes Kunstwerk geschaffen, keine bloße Kopie. Das Handwerk jedoch war das alte. So alt, dass es gar keine Bernsteinschnitzer mehr gab, die die Kunstfertigkeit für ein solches Werk besaßen. Die Bernsteinverarbeitung musste erst wieder erlernt werden.

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Allein die Farbe stellte ein Problem dar. Bernstein weist alle Schattierungen von weiß über hell- und honiggelb, leuchtend- und dunkelrot bis karamell, ocker oder braun auf. Aus dem Rohbernstein mussten daher passende Stücke herausgesucht werden, die farblich miteinander harmonierten. Doch einen Trick gibt es, der das Arrangement erleichtert und den die Restauratoren wiederentdeckten: Wird Bernstein langsam in Wasser und Honig erhitzt und anschließend mit einer milchigen Mixtur aus verschiedenen Kräüutern und Ölen behandelt, lässt sich seine natürliche Farbe noch beeinflussen.

Ein großer Teil der Wandverkleidung im Bernsteinzimmer besteht aus Paneelen. Diese mannshohen Holztafeln wurden mit Mosaiken aus dünnen Bernsteinplättchen beklebt und bilden quasi die „Grundierung“ für die übrige Dekoration. Damit der Bernstein durch das Aufkeben nicht zerstört wird, ist ein besonderer Leim notwendig. Die Zusammensetzung des Original-Leims, des sogenannten Mastix, einem Klebstoff aus verschiedenen Harzen, entschlüsselten die Restauratoren aus den wenigen Bruchstücken des Originals. Nach barocker Werkstoffkunde konnten schließlich über 55 Quadratmeter Bernsteinmosaik gelegt werden, wobei jedes einzelne der Betnsteinplättchen nach dem Vorbild des Originals zurechtegsägt und eingepasst wurde.

Aufwendige Relief- und Schnitzarbeit © E.ON Ruhrgas AG

Stellte die Rekonstruktion der Paneel-Mosaike nach alten Zeichnungen schon eine Meisterleistung dar, so schien der Nachbau der Reliefs schier undurchführbar. Von allen erhabenen Verzierungen wurden zunächst Plastilin-Modelle geformt. Nachdem sie von Experten auf Original-Treue geprüft waren, entstanden Abdrücke und Gipsmodelle, die wiederum den Schnitzern und Intarsienlegern als Vorlage für Figuren, Blätterranken únd Medaillons dienten. Besonders kunstvoll – die Bernsteingravuren. Aus nur fünf Millimeter dünnen Plättchen aus durchsichtigem Bernstein wurden von der Rückseite Ornamente von einem Millimeter Tiefe gefräst, um Wappen- oder Landschaftsmotiven einen räumlichen Effekt zu verleihen.

Das Gesamtkunstwerk besteht aus mehr als einer halben Million Einzelteilen. Sechs Tonnen Bernstein aus Jantarnyi wurden verarbeitet, doch pro Kilo blieben schließlich nur 150 Gramm übrig. Der Rest ging beim Sägen, Schleifen, Fräsen und Polieren verloren. Bei bis zu 1.000 Dollar pro Kilo besten Bernsteins ist der finanzielle Wert des neuen Bernsteinzimmers fast unermesslich. Doch verkäuflich ist das Bernsteinzimmer ja sowieso nicht.

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Stand: 03.09.2004

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In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Bernstein
Fenster zur Vergangenheit

Das Geheimnis des Bernsteinwalds
Zur Entstehung des Bernsteins

Trapped in time
Die Welt der Inklusen

Die Biene als Einmachglas oder Wie baut man Dinosaurier
Jurassic Park und die DNA im Bernstein

Tagebuch der Evolution
Bernstein im Dienste der Paläontologie

Blaue Erde und Blaue Dominikaner
Bernstein-Fundorte weltweit

Bernsteinzimmer – Klappe, die Erste
Das Original bleibt verschwunden

Bernsteinzimmer – Klappe, die Zwote
Die Auferstehung des Achten Weltwunders

Vom Börnstein zur Elekrizität
Kleine Etymologie des Bernsteins

Römer, Wikinger und der VEB Ostseeschmuck
Bernstein als Wirtschaftsfaktor

Bernstein – selbst gesucht
Tipps und Tricks für Sammler

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