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Zoologie

„Kraken haben unterschiedliche Persönlichkeitstypen“

Interview mit Volker Christian Miske Teil I

Volker Christian Miske mit einem Nordischen Kalmar © 2004 OZ, Bernhard Schmidtbauer

Volker Christian Miske ist Diplombiologe und promoviert zurzeit am Zoologischen Institut und Museum der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald. In seiner Doktorarbeit geht es um Tiefsee-Tintenfische. g-o.de hat mit dem einzigen Tintenfischkundler Mecklenburg-Vorpommerns folgendes Interview geführt:

g-o.de: Herr Miske, sie kommen gerade von einer Reise zurück. Waren Sie wieder in Sachen Tintenfische unterwegs?

Miske: Ja. Diesmal ging es um Riesenkalmare. Die Stuttgarter Naturfilmautorin und -produzentin Cornelia Volk, und ich kamen im Dezember aus Neuseeland von Präparation, Sektion und Filmen von Riesenkalmaren zurück. Ich beschaffte das beste Exemplar, das eine Gesamtlänge (Mantel- bis Tentakelspitze) von rund sieben Metern besitzt, für ein renommiertes deutsches Museum. Es wird das erste Exemplar dieser mythenumwobenen Giganten in Deutschland überhaupt sein. In der ganzen Welt sind nur wenige Exemplare ausgestellt. Gelegentlich gehen neuseeländischen Tiefseefisch-Fischern, die das Ökosystem der pelagischen Tiefsee durch ihre Tätigkeit vor Ort gefährden oder gar schon ruinieren, Riesenkalmare als Beifang ins Netz.

Demnächst wird es also einen regelrechten naturkundlichen „Kracher“ in Deutschland geben. Seit Jahrhunderten geistert der geheimnisvolle Riesenkalmar (Gattung Architeuthis), häufig unzutreffend auch als „Riesenkrake“ bezeichnet, durch Mythen und Seefahrergeschichten. Bisher sah noch nie ein Mensch einen solchen Giganten lebend in seinem natürlichen Lebensraum, den riesigen, dunklen Weiten der oberen Tiefsee. Expeditionen wurden ausgerüstet, um diesen größten als Einzelorganismus lebenden Wirbellosen der Welt in seinem Lebensraum zu filmen – bisher erfolglos.

Unser Männchen verfügt über ein Merkmal, das bisher noch bei keinem anderen männlichen Riesenkalmar gefunden wurde.

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Wir hatten das seltene Glück, zwei Tiere zur Verfügung zu haben. Mein Kollege stellte das andere, nur unzureichend erhaltene Exemplar zur Sektion zur Verfügung. Beide Tiere wurden nach dem Schockfrosten an Bord der Fangschiffe und der Zwischenlagerung aufgetaut. Wir hatten also de-facto-fangfrische Riesenkalmare zur Verfügung, die einen sehr guten Eindruck von natürlicher Färbung, Konsistenz und innerer Anatomie dieser Tiere lieferten – im Gegensatz zu den blassen „Schnapsleichen“ in den wenigen Museen der Welt, die Vertreter der Familie der Riesenkalmare zeigen.

Solch ein Riese wird von einem 24-Gramm-Gehirn gesteuert (!) – wir haben es gewogen. Ganz selten: Im Magen befanden sich identifizierbare Nahrungsreste: Gräten und Wirbel von Fischen. Habe das Tier sogar verkostet – aus rein wissenschaftlichen Gründen natürlich! Es ging dabei um die grobe Bestimmung des Ammoniumchlorid-Gehaltes in unterschiedlichen Gewebeteilen und damit die Körperlage des Riesen im freien Wasser. Da im hinteren Mantelteil höhere Konzentrationen dieses Auftriebsmittels vorliegen als im Bereich der Arme, scheint das Tier schräg kopfabwärts in der Wassersäule zu schweben. Schmeckt übrigens furchtbar.

Näheres dann zur feierlichen Eröffnung der Ausstellung, die für Mai geplant ist, und im kurz darauf ausgestrahlt werdenden Film. Die genauen Termine werden in den Medien und auf www.tintenfische.info angekündigt.

g-o.de: Schon als Sechsjähriger hat sie der Film „Nacht der Kalmare“ von Jacques Cousteau für Tintenfischen begeistert, das hat sich bis heute nicht verändert. Was fasziniert Sie an den Weichtieren so besonders?

Miske: Als Kind schlugen mich die unglaubliche Eleganz der Bewegung der wie ein Geschwader Raumschiffe durch die Nacht gleitenden Kalmare, ihre ästhetisch geformten Körper, ihre großen, ausdrucksvollen Augen, der ungewöhnliche Rückstoßantrieb, ihre Fähigkeit zum blitzschnellen Farbwechsel sowie ihre zu vielerlei Zwecken einsetzbaren, saugnapfbestückten Arme in den Bann.

Später dann faszinierten mich die „Durchkonstruiertheit“ ihrer Körper, die Vielfalt der aus einem recht einfach aufgebauten schneckenähnlichen Vorfahren hervorgegangenen Lebensformtypen, ihre manchmal nicht anders als abenteuerlich zu bezeichnenden Anpassungen an ihre unterschiedlichen Lebensräume und nicht zuletzt ihr Verhalten.

Kopffüßer haben sich – vor allem im Hinblick auf ihre außergewöhnlichen physischen und Intelligenzleistungen – innerhalb der Stammesgeschichte weit von ihren Verwandten, den Schnecken und Muscheln, entfernt.

Sie besitzen ein fast geschlossenes Blutkreislaufsystem, drei Herzen, eine regelrechtes Hirn samt Hirnkapsel und Augen, die ähnlich den unsrigen aufgebaut sind. Das stark zentralisierte Hirn, die exzellenten Augen und die Fähigkeit ihrer Haut zum schnellen Farbwechsel ermöglicht ihnen eine hochentwickelte optische Kommunikation.

Die Vielfalt dieser Tiergruppe reicht von nur wenigen Millimetern großen Zwergtintenfischen der Mangrovenzonen über armlange, elegante Hochseejäger wie die Pfeilkalmare bis zu den leuchtenden Tiefseebewohnern und dem gigantischen Riesenkalmar.

Auf die hoch spannende Gruppe der Tiefsee-Tintenfische habe ich mich besonders spezialisiert.

g-o.de: Tintenfische gelten als intelligent und werden deshalb häufig auch als die „Weisen der Meere unter der wirbellosen Tieren“ bezeichnet. Halten Sie dies für gerechtfertigt und wenn ja, wie äußert sich das?

Miske: Es hängt von der jeweils verwendeten Definition des Wortes „Intelligenz“ und damit von den angelegten Kriterien ab, ob man Kopffüßer als intelligent bezeichnen kann. Das vergleichsweise große Hirn der modernen Kopffüßer und insbesondere das der Kraken (Familie Octopodidae) ermöglicht erstaunliche Lern- und Gedächtnisleistungen. Es besitzt so genannte Vertikal- und Subfrontal-Lappen, die ausschließlich der Informationsspeicherung dienen. Die anatomischen Voraussetzungen für Intelligenz sind also gegeben.

Es existieren ernstzunehmende Hinweise, dass Kraken in der Lage sind, aus Beobachtung anderer Individuen zu lernen, und somit ein gestelltes Problem schneller lösen können als Tiere, die zuvor keinen Artgenossen dabei beobachten konnten, wie er eine erlernte Aufgabe löste. Diese Fähigkeit ist sonst nur noch von höheren Wirbeltieren bekannt.

Anscheinend sind Gemeine Kraken (Octopus vulgaris) auch zu vorausschauendem, also planendem Handeln fähig, wie folgendes Beispiel nahe legt: Ein Exemplar trug kurz nacheinander kleinere Steine vor seiner Höhle zusammen, schichtete diese offenbar gezielt auf, riegelte damit den Eingang der neuerrichteten Burg ab, um dann gut geschützt einzuschlafen.

Der Gebrauch von Werkzeug, ebenfalls ein Kriterium für Intelligenz, wurde bei Kraken nachgewiesen. Dabei handelt es sich um Wasser. Sie benutzen z. B. einen mit ihrem Trichter erzeugten Wasserstrahl zum Reinigen oder Erweitern ihrer Höhlen, indem sie Steine und Sand mit den Armen und der Armspannhaut zusammensammeln, sich zum Höhleneingang bewegen, die Arme öffnen und das Ganze mit einem kräftigen Wasserstrahl davonpusten. Auch das Verwenden des Wasserstrahls zur Abwehr von lästigen Fischen oder menschlichen Beobachtern ist bekannt. Eine Videosequenz dieses Verhaltens ist hier zu sehen.

Vor einiger Zeit wurden in Gefangenschaft gehaltene Riesenkraken (Enteroctopus dofleini) beim regelrechten Spielen beobachtet: Sie spielten, indem sie eine schwimmende leere Flasche mit Hilfe ihres Trichters immer wieder auf das Wassereinströmrohr ihrer Aquarien zutrieben. Bisher ging man davon aus, dass diese Eigenschaft nur für höhere Wirbeltiere zutrifft.

Mittlerweile hat man bei Kraken sogar unterschiedliche Persönlichkeitstypen nachgewiesen – die einen sind eher phlegmatisch, andere eher ängstlich oder aggressiv.

Bei anderen Kopffüßern, den Karibischen Riffkalmaren (Sepioteuthis sepioidea), wurde eine komplexe optische Kommunikation gefunden, die wir erst in Ansätzen verstehen.

Je intensiver Kopffüßer, die Spitzenmodelle der Weichtier-Stammesgeschichte, untersucht werden, umso mehr Kriterien für Intelligenz erfüllen sie.

Im gesamten Wirbellosen-Ast des Stammbaumes der Tiere existiert nichts Vergleichbares. Erst im anderen Ast und weit entfernt von den Tintenfischen findet sich wieder ein solches Phänomen – bei den höheren Wirbeltieren, denen auch wir angehören.

Man kann Cephalopoden also mit Berechtigung als die „Weisen“ der Meere unter der wirbellosen Tieren im Sinne herausragender geistiger Leistungen ansehen. Eine langjährige Wissensakkumulation bleibt ihnen jedoch verwehrt – sie werden i. R. nicht älter als drei Jahre.

Fortsetzung

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Stand: 05.03.2004

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In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Tintenfische
Intelligente Anpassungskünstler unter Wasser

Älter als die Dinosaurier...
500 Millionen Jahre Tintenfische

Drei Herzen, blaues Blut und noch viel mehr
Extravagante Tintenfische

Von Kalmaren, Riesenaxonen und dem Nobelpreisträgern
Tintenfische im Visier der Forscher

...and the winner is?
Meister im Tarnen und Täuschen

Mimic Octopus
Ein Wunderknabe in der Klemme

Octopussy und andere Kraken
Schön, gefährlich und lernfähig

Der Dracula der Meere
Vampirtintenfisch aus der Hölle

Monster oder geheimnisumwittertes Wesen?
Der Riesenkalmar

"Kraken haben unterschiedliche Persönlichkeitstypen"
Interview mit Volker Christian Miske Teil I

Goldene Zukunft für Tintenfische?
Interview mit Volker Christian Miske Teil II

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