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Biotechnologien

Gefällige Gutachter

Wissenschaftler im Dienst des Meistbietenden?

Kaum ein Hochschulinstitut oder eine Forschungseinrichtung kommt heute noch ohne Drittmittel – Gelder aus der Industrie und Privatwirtschaft – aus. Mit den eher mageren Haushaltsbudgets der Universitäten und des Staates allein lassen sich viele der extrem aufwendigen und teuren Experimente besonders in der Physik und Biotechnologie nicht mehr finanzieren.

Diese Entwicklung hat nicht nur zu einem stärkerem Publikations- und Leistungsdruck im Kampf um diese begehrten Finanzspritzen geführt, sondern schafft auch neue Abhängigkeits- und Einflussstrukturen. Die Hauptgeber von Drittmitteln sind oft Unternehmen der chemischen oder pharmazeutischen Industrie, die ihrerseits natürlich sehr genau darauf achten, wem sie diese Mittel zur Verfügung stellen. Obwohl sich die Einflussnahme im Forschungsalltag meist in Grenzen hält, kommt es spätestens dann zu einem Interessenskonflikt, wenn Wissenschaftler als Gutachter tätig werden.

Geht es in einem Rechtsstreit beispielsweise um die Gesundheitsfolgen eines Chemieunfalls oder Atomreaktors, werden vor Gericht Sachverständige gebraucht, um die wissenschaftlichen Hintergründe darzulegen und zu bewerten. Sowohl Kläger als auch Beklagte wenden sich auf der Suche nach den jeweils „geeigneten“ Gutachtern dann meist an Hochschulen und Forschungseinrichtungen.

So auch im Juni 1993: Das Oberlandesgericht Frankfurt eröffnete gegen die Chemiefirma Desowag Bayer Holzschutz AG einen Prozess, weil deren Holzschutzmittel erhebliche gesundheitliche Schäden bei Verbrauchern verursacht haben sollten. Als Folge begaben sich die Manager der Chemiefirma händeringend auf die Suche nach einem „passenden“ Gutachter. „Passend“, das hieß in diesem Fall natürlich, daß der Gutachter vor Gericht glaubwürdig zu versichern hatte, dass die in den Holzschutzmitteln enthaltenen Dioxine keinesfalls für Krebs, Leber- oder Nervenschäden verantwortlich sein könnten.

Wie auch in dieser Sache geschehen, können die Unternehmen bei ihrer Auswahl meist schon auf eine Liste von „gefälligen“ Kandidaten zurückgreifen. Dabei muß „gefällig“ keineswegs immer gleich bestechlich oder korrupt bedeuten, in vielen Fällen reicht es, wenn ein Gutachter sich bewusst oder unbewusst scheut, die Interesssen seines „Sponsors“ zu offensichtlich zu verletzen – schließlich steht damit unter Umständen die Finanzierung eines gesamten Forschungsprojektes oder sogar Institutes auf dem Spiel.

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Die Chemiefirma Desowag wollte kein Risiko eingehen und sicherte sich für den Prozess unter anderem die Dienste des bekanntermaßen industriefreundlichen Gutachters Prof. Helmut Greim, einem Münchener Pharmakologen und Toxikologen. Erwartungsgemäß, und ohne auch nur einen Blick auf die dioxingeschädigten Personen geworfen zu haben, kamen Greim und seine Gutachterkollegen vor Gericht zu dem Ergebnis, dass der Umgang mit Holzschutzmitteln gesundheitlich unbedenklich sei und kein Zusammenhang zu den Krankheitsbildern bestehe.

In den vorhergehenden Instanzen hatte die Flut der sich widersprechenden Gutachten zu einer Einstellung des Prozesses geführt. Das Oberlandesgericht hatte allerdings bereits Erfahrungen mit den „Experten“ der Industrie gesammelt und ließ sich weder vom guten Ruf des renommierten Wissenschaftlers noch von den zahlreichen widersprüchlichen Expertisen blenden. Der Kommentar der Richter zum Greim-Gutachten fiel entsprechend aus: „Die Meinung – um mehr handelt es sich mangels klinischer Erfahrung des Sachverständigen nicht – sei durch den weiteren Gang der Beweisaufnahme widerlegt.“ Der Holzschutzmittel-Prozess ging folglich zugunsten der Geschädigten aus und gilt heute als einer der Meilensteine im Streit um die gesundheitlichen Folgen von Chemikalien.

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Stand: 13.02.2000

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