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Botanik

Winzige Fisch-Mörder

Algen bei der Giftproduktion

Durch Noctiluca verursachte rote Tide © Peter J.S. Franks - Scripps Institution of Oceanography

Immer wieder stellten plötzliche Fischsterben Wissenschaftler vor ein Rätsel. Ohne ersichtlichen Grund trieben auf einmal Millionen toter Fische auf dem Meer. Weit und breit war kein Räuber zu sehen, auch Wasserproben vom Ort des Geschehens schienen völlig gewöhnlich und lieferten keine brauchbaren Erkenntnisse. Erst 1992 kamen die Forscher dem Fischmörder auf die Spur – die Fährte führte sie zu mikroskopisch kleinen einzelligen Algen, den Dinoflagellaten.

Wie schaffen es die winzigen Einzeller, ganze Fischschwärme zu töten? Vor dem „Attentat“ warten die Algen in einem Ruhestadium am Grunde des Meeres auf eine Gelegenheit. In Zysten, die sie von der Außenwelt abkapseln, können die Einzeller ihren Stoffwechsel herunterfahren und auf diese Weise lange Zeit ohne Nahrung überdauern. Sobald sie den Fischschwarm bemerken – vermutlich durch chemische Substanzen, die die Fische ins Wasser abgeben – öffnen sich die Zysten innerhalb weniger Minuten und die Dinoflagellaten schwärmen aus.

Nervengift im Wasser

Im Wasser sondern sie ein starkes Nervengift ab, die Fische werden gelähmt und ersticken. Die Algen vermehren sich rasch und saugen mit röhrenförmigen Fortsätzen Hautfetzen und Nährstoffe der abgestorbenen Fische auf. Nun setzt auch sexuelle Vermehrung ein, im Anschluss kapseln sich die Flagellaten wieder in Zysten ein und beginnen auf dem Meeresgrund eine erneute Ruhephase. Aus diesem Grund konnten sie auch in den Wasserproben nicht gefunden werden.

Neben diesem extremen Beispiel gibt es verschiedene andere „Killer-Algen“, deren Massenvorkommen gefürchtet ist. Insgesamt gesehen sind die giftbildenden Algen zwar in der Minderheit – von etwa 6.000 Algenarten bilden nur 30-50 Toxine – in großer Menge können sie allerdings beträchtliche wirtschaftliche Schäden verursachen. Neben den Dinoflagellaten gehören verschiedene Blaualgen und wenige Kieselalgen zu diesen Arten.

Die Masse macht’s

Eine einzelne Alge ist dabei kaum giftig. Bei günstigen Bedingungen entwickelt sich aber eine Algenblüte, also eine massenhafte Vermehrung einiger weniger Arten. Wind und Strömung treiben die Einzeller dann an Küsten und in Buchten zusammen. In der Menge kommt es schon zu hohen Toxinkonzentrationen im Wasser. Die großen Massen an Carotinoiden färben das Wasser dabei orange-rot, die sogenannte rote Tide (red tide) entsteht.

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Rote Tide © NOAA

Das Phytoplankton ist die Nahrungsgrundlage für zahlreiche tierische Organismen. Daher werden auch die giftigen Algen von Fischen gefressen und von Muscheln aus dem Wasser gefiltert. Auf diese Weise reichert sich das Gift in den Tieren nochmals an, und erreicht Konzentrationen, die auch uns Menschen gefährlich werden können. So kommt es nicht nur zu großen Verlusten in Fisch- und Muschelfarmen, sondern auch zu Todesfällen beim Menschen. Saxitoxin ist das am besten untersuchte Dinoflagellatengift – schon 0,2 Milligramm sind eine für Menschen tödliche Dosis. Eine mit diesem Gift angereicherte Muschel führt beim Menschen zu einer Lähmung und nach zwei bis zwölf Stunden zum Tod.

Saxitoxin ist 1.000mal giftiger als künstlich hergestellte Nervengase wie etwa Sarin. Kein Wunder, dass der CIA Interesse zeigte und das Gift in Selbstmordkapseln an seine Agenten verteilte. 1970 wurden Experimente dieser Art von Präsident Nixon verboten, da die USA die UN-Vereinbarung über biologische Waffen unterzeichnet hatten.

Nicht völlig geklärt ist, ob Giftalgenblüten in letzter Zeit zugenommen haben. Die Überdüngung der Gewässer vor allem an Flussmündungen mit Stickstoff und Nitratverbindungen kann aber durchaus ein Auslöser für die Massenvermehrung sein. Allerdings zeigen Sedimentkerne aus der Nordsee, dass dort vor allem bis 1700 häufig Massen von toxischen Dinoflagellaten auftraten. Auch die erste Plage, die Gott den Ägyptern schickte, um den Pharao dazu zu bringen, Moses und sein Volk ziehen zu lassen, wird als toxische Algenblüte gedeutet:

„…und das Wasser im Fluss färbte sich rot. Und die Fische im Fluss starben; und der Fluss stank und die Ägypter konnten das Wasser des Flusses nicht trinken…“

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Stand: 06.06.2002

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In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

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Brutale Strategien im Reich des Chlorophylls

Von wegen wehrlos
Die fiesen Tricks der Pflanzen

Verführerische Fallen
Extra-Mahlzeit für die Kannenpflanzen

...und die Falle schnappt zu
Die schnellste Bewegung im Pflanzenreich

Tödliche Umklammerung
Die Würgfeige trägt ihren Namen zurecht

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