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Medizin

Wissenschaftler klären Kontrollmechanismen eines Schlüsselenzyms des Spleißosoms auf

Freie Universität Berlin

Alles Leben auf der Erde wird durch zelluläre Prozesse ermöglicht, die zeitlich und räumlich streng kontrolliert ablaufen müssen. Forscher des Max-Planck-Instituts für biophysikalische Chemie in Göttingen und der Freien Universität Berlin haben jetzt einen neuen Mechanismus aufgeklärt, der einen lebenswichtigen Prozess bei der Genexpression in höheren Organismen steuert. Versagt dieser Steuerungsmechanismus, kann dies beim Menschen zum Erblinden führen.

Die Desoxyribonukleinsäure (DNA) ist der Träger der Erbinformation in allen Lebewesen. In bestimmten Bereichen – Genen genannt – enthält sie die Informationen für den Aufbau von Proteinen. Diese Molekülklasse übernimmt in der Zelle viele verschiedene Aufgaben: Das Spektrum reicht von der Signalübertragung über Frachttransport und Energieerzeugung bis hin zur Nutzung der Erbinformation. Im Menschen und in anderen höheren Lebewesen ist die große Mehrzahl der Gene mosaikartig aufgebaut. Kodierende Abschnitte, die die Information für den Proteinaufbau tragen, wechseln sich ab mit sogenannten nicht-kodierenden Abschnitten. Um ein Protein zu synthetisieren, wird zunächst eine Kopie des entsprechenden Gens in Form von Ribonukleinsäure (RNA) hergestellt. Im nächsten Schritt werden aus diesen RNA-Molekülen die nicht-kodierenden Abschnitte herausgeschnitten und die kodierenden Bereiche wieder zusammengefügt. Erst die dadurch entstehende „reife Boten-RNA“ kann als Vorlage für die Proteinherstellung dienen. Dieser lebenswichtige Prozess wird als Spleißen bezeichnet.

Das Spleißen wird von einer hochkomplexen molekularen Maschine bewerkstelligt, dem Spleißosom. Menschliche Spleißosomen sind aus rund 170 verschiedenen Proteinen und fünf kleinen nukleären RNA-Molekülen (snRNAs) aufgebaut. Bestimmte snRNAs dienen dabei als Werkzeuge des Spleißosoms, mit denen Bereiche der Boten-RNA-Vorläufermoleküle herausgeschnitten und wieder korrekt zusammengefügt werden können. Die Proteine des Spleißosoms sorgen dafür, dass diese Werkzeuge zum richtigen Zeitpunkt und am gewünschten Ort aktiv werden.

In der Tat sind Spleißvorgänge in höheren Lebewesen hochgradig reguliert. So können durch unterschiedliches Zerlegen und Wiederverknüpfen eines Boten-RNA-Vorläufermoleküls verschiedene reife Boten-RNAs und damit letztlich unterschiedliche Proteine auf Basis eines einzelnen Gens synthetisiert werden. Dieser Vorgang wird als alternatives Spleißen bezeichnet. Er ist vermutlich der wichtigste Prozess, über den beim Menschen aus einer sehr begrenzten Zahl proteinkodierender Gene das große Protein-Repertoire hergestellt wird, das eine Zelle zum Überleben benötigt.

Für jeden Spleißvorgang wird ein Spleißosom auf einem Boten-RNA-Vorläufermolekül neu zusammengebaut. Um sicherzustellen, dass das Vorläufermolekül erst geschnitten wird, wenn die korrekten Schnittstellen identifiziert worden sind, werden die snRNA-Schneidewerkzeuge des Spleißosoms zunächst in einer inaktiven Form angeliefert: Sie sind durch andere Bestandteile des Spleißosoms quasi verpackt, vergleichbar mit Messern, die sicher in ihrer Scheide stecken. Auf ein bestimmtes Startsignal hin müssen diese molekularen Messer gezückt und zum Einsatz gebracht werden. Bislang war bekannt, dass ein bestimmtes Protein namens Brr2 für das Herausziehen dieser molekularen Messer aus ihrer Scheide verantwortlich ist. Brr2 gehört zu einer Familie von Enzymen, die als RNA-Helikasen bezeichnet werden. Sie können RNA-Moleküle, die miteinander verpaart sind, voneinander trennen. Auf diese Weise setzt Brr2 eines der snRNA-Messer frei, sodass es seine Schneidearbeit verrichten kann. Brr2 weist im Vergleich zu anderen Helikasen eine besondere molekulare Architektur auf (siehe „Weitere Publikationen zum Thema“ [1]). Bisher war jedoch unklar, wie diese Architektur in der Zelle genutzt wird, um das Brr2-Protein seinerseits zu kontrollieren.

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Einen wichtigen Kontrollmechanismus haben jetzt Forscher der Freien Universität Berlin und des Max-Planck-Instituts (MPI) für biophysikalische Chemie in Göttingen aufgeklärt. Sina Mozaffari Jovin und Cindy Will aus der Abteilung „Zelluläre Biochemie“ von Reinhard Lührmann am MPI für biophysikalische Chemie fanden mithilfe biochemischer Experimente heraus, dass die Helikase-Aktivität von Brr2 durch einen bestimmten Teil eines anderen Proteins des Spleißosoms – Prp8 genannt – gehemmt wird. „Brr2 wird von Prp8 gewissermaßen an die Leine genommen und daran gehindert, die Schneidewerkzeuge des Spleißosoms in Gang zu setzen. Dazu muss das Prp8-Molekül direkt mit der Brr2-Helikase in Kontakt treten“, erklärt Lührmann.

In weiteren Versuchen konnten Traudy Wandersleben und Karine Santos aus der Arbeitsgruppe „Strukturbiochemie“ von Markus Wahl an der Freien Universität Berlin die atomare Struktur der Verbindung von Brr2 und dem betreffenden regulativen Teilstück von Prp8 aufklären. „Dafür haben wir das Verfahren der Röntgenkristallografie eingesetzt. Spezielle Messeinrichtungen des BESSY II-Synchrotrons am Helmholtz-Zentrum Berlin bieten uns dafür beste Voraussetzungen“, erläutert Wahl. Die atomare Struktur erklärt in anschaulicher Weise die biochemischen Ergebnisse: Das Prp8-Molekül verstopft mit einem langgestreckten Bereich an seinem Ende einen zentralen Kanal in der Brr2-Helikase und verhindert so, dass RNA-Moleküle, die durch Brr2 voneinander getrennt werden sollen, sich an dieser Stelle einlagern können.

Der Bereich von Prp8, der wie ein Stopfen wirkt, ist auch medizinisch relevant. Kommt es dort durch Mutationen zu Veränderungen im Prp8-Protein, entwickelt sich beim Menschen eine Erkrankung der Netzhaut des Auges, die zur Erblindung führen kann. Dazu Wahl: „Aufgrund der atomaren Struktur des Brr2-Prp8-Komplexes haben wir vermutet, dass die betreffenden Veränderungen das Prp8-Molekül in seiner Funktion als Brr2-Regulator stören. Unsere Göttinger Kollegen haben dies nun experimentell bestätigt.“

Doch es gibt noch einen zweiten Mechanismus, über den Brr2 im Spleißosom reguliert wird. Die Forscherteams um Lührmann und Wahl haben kürzlich entdeckt, dass ein anderer Bereich des Prp8-Proteins an die RNA-Moleküle binden kann, die von Brr2 aufgetrennt werden müssen. So schnappt das Prp8-Protein der Brr2-Helikase ihre RNA-Moleküle weg (siehe „Weitere Publikationen zum Thema“ [2]). „Dass es zwei oder noch mehr verschiedene Regulationsmechanismen für den von uns untersuchten Prozess gibt, unterstreicht, wie wichtig dessen genaues Timing für das Spleißen ist“, erläutert Biochemiker Lührmann.

Noch ist unklar, wie die verschiedenen Hemm-Mechanismen der Brr2-Helikase zusammenwirken und wie sie zu bestimmten Zeitpunkten aufgehoben werden, damit Brr2 seine Arbeit im Spleiß-Prozess verrichten kann. Die Göttinger und Berliner Arbeitsgruppen haben konkrete Ideen, wie die Entfesselung von Brr2 bewerkstelligt werden könnte. In weiteren Studien wollen sie diese überprüfen. „Und natürlich interessiert uns, ob die Regulation von Brr2 auch beim alternativen Spleißen eine Rolle spielt“, betonen die Forscher.

(Science, 2013; doi: 10.1126/science.1237515)

(Freie Universität Berlin, 27.05.2013 – KSA)

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