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Materialforschung

Motorenöl hinter Metall beobachten

Paul Scherrer Institut (PSI)

Mehrscheibenkupplungen, wie sie in Motorrädern zu finden sind, werden mit Öl geschmiert und gekühlt. Gleichzeitig muss die Ölpumpe aber vom Motor angetrieben werden und erhöht damit den Kraftstoffverbrauch des Fahrzeugs. Das Ziel der Entwickler ist deshalb, die Antriebskomponenten optimal zu schmieren – mit einem möglichst kleinen Ölvolumenstrom. Um zu sehen, wie sich das Öl innerhalb einer Kupplung verteilt, arbeiten die Entwickler der Schaeffler-Marke LuK (D) mit den Wissenschaftlern des Paul Scherrer Instituts in Villigen (CH) zusammen, die mit Neutronen Metalle durchleuchten.

Ein Motorrad soll kräftig und schnell sein – und trotzdem leicht und elegant. Der Motor und das Getriebe werden deshalb möglichst kompakt konstruiert. Dazwischen sitzt die Kupplung, welche die Kraft überträgt. In der Regel sind dies mehrere gestapelte Scheiben, die in der Reihenfolge alternierend mit dem Motor bzw. dem Antriebsstrang verbunden sind. Wird der Stapel aus Scheiben – Experten sprechen auch von Lamellen – zusammengedrückt, reiben sie aneinander und die Kraft wird vom Motor auf die Antriebswelle übertragen. Wobei die Scheiben in der Praxis nur beim einkuppeln kurz aneinander reiben, danach drehen sie durch den Reibschluss alle miteinander mit. Kuppelt der Fahrer aus, um beispielweise den Gang zu wechseln, wird der Druck gelöst und damit der Reibkontakt unterbrochen – der Motor ist wiederum vom Antriebsstrang getrennt.

Indem mehrere Scheiben mit relativ kleinem Durchmesser gestapelt werden, können die Kupplungen kompakt und leicht gebaut werden. Der Nachteil ist allerdings, dass die Wärme, die durch die Reibung entsteht, kaum durch das kleine Volumen aufgenommen werden kann. Die Kupplung droht rasch zu überhitzen. Deshalb werden Mehrscheibenkupplungen mit Öl gekühlt.

Wo geht das Öl hin?

Die Ölpumpe, die den Motor schmiert, ist beim Motorrad auch für die Ölversorgung der Kupplung zuständig. Das Öl wird über ein Loch in der Welle zugeführt und verteilt sich im Innern der Kupplung durch die Fliehkraft. Führungsrinnen im äusseren Bereich verteilen das Öl, damit alle Lamellen versorgt werden. „Entscheidend ist natürlich, wo das Öl wirklich hinfliesst. Doch im Betrieb ist die Kupplung geschlossen und man sieht nicht ins Innere“, sagt Matthias Wagner, Entwicklungsingenieur für Kupplungen bei der LuK GmbH & Co. KG in Bühl (D). Er und seine Entwicklerkollegen wandten sich deshalb an die Wissenschaftler des Paul Scherrer Instituts. Mit Hilfe der Neutronenradiografie können diese durch Metall hindurchsehen und das Schmieröl abbilden.

Neutronen durchqueren Metall

Auf den ersten Blick sehen die Bilder aus der Neutronenradiografie wie herkömmliche Röntgenbilder aus. Während Röntgenstrahlen aber durch Metall stark absorbiert werden und das Schmiermittel kaum erkennbar ist, ist es bei Neutronen genau umgekehrt: Metall ist durchsichtig und das Öl absorbiert die Neutronen. „Das liegt daran, dass der Neutronenstrahl vor allem von wasserstoffhaltigen Materialien abgeschwächt wird, also auch von Schmieröl, das aus Kohlenwasserstoffen besteht. Das Aluminiumgehäuse der Kupplung ist hingegen praktisch transparent“, erklärt Christian Grünzweig, Projektleiter für industrielle Anwendungen der „Neutronen Imaging Group“ am Paul Scherrer Institut.

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Nur die vorderen Lamellen benetzt

Als Johannes Ruf und Daniel Helmer, ebenfalls Entwicklungsingenieure bei LuK, die ersten Bilder sahen, waren sie überrascht: “Nur die ersten drei von acht Lamellen wurden mit Öl benetzt, zu den übrigen gelangte praktisch kein Öl.“ Die Resultate sind unabhängig von der Drehzahl des Motors. Durch erhöhen des Ölvolumenstrom wird zwar Lamelle 5 mit Öl versorgt, die Lamellen 4, 6, 7 und 8 laufen aber nach wie vor nahezu trocken. „Den Volumenstrom wollen wir eigentlich reduzieren. Die Ölpumpe ist neben der Lichtmaschine einer der grössten Verbraucher, die vom Motor angetrieben werden. Je effizienter die Ölversorgung gestaltet ist, desto weniger muss die Pumpe fördern und desto kleiner wird der Kraftstoffverbrauch des Motorrads. Unser Ziel ist, bei einem kleinen Volumenstrom die optimale Schmierung und Kühlung der Lamellen zu erreichen“, so Ruf und Helmer.

Spezieller Prüfstand entwickelt

Für die Messungen arbeiteten die Entwickler von LuK und die Wissenschaftler vom PSI eng zusammen: Damit die Kupplung von vorne und von der Seite durchleuchtet werden kann, entwickelte man am Schaeffler-Standort in Bühl einen Prüfstand mit seitlich versetztem Elektroantrieb. Zudem können anstelle der Lamellen Platzhalter eingesetzt werden, um Aufnahmen mit nur einer Reiblamelle zu machen. Mit der kompletten Kupplung würde sich der Ölfluss durch die verschiedenen Reiblamellen überlagern und könnte nicht mehr einer einzelnen zugeordnet werden. Hinzu kommt, dass die Reiblamellen mit Pads aus organischem Material bestückt sind, welche die Neutronen ebenfalls absorbieren.

Der Prüfstand hat sich bewährt: „Wir konnten zeigen, dass sich das Öl unterhalb der Reibbelag-Pads staut und dann in den Zwischenräumen aus der Lamelle herausfliesst“, so Grünzweig. „Dass die hinteren Lamellen nicht mit Öl versorgt werden, liegt aber daran, dass der Fluss in der Ölführungsrinne bereits ab Lamelle drei abreisst.“

Stroboskop-Effekt

Eine Herausforderung für die Wissenschaftler war die schnell rotierende Kupplung bei der Aufnahme – normalerweise dauert die Belichtungszeit für Neutronenradiographie einige Sekunden. „Wir wählten eine Belichtungszeit von 50 µs, das sind 50 Millionstelsekunden“, sagt Grünzweig. „Damit die Bildqualität trotzdem ausreichend war, wurde ein spezielles lichtverstärkendes Detektorsystem benutzt. Wir machten 1000 Einzelaufnahmen, die dann zu einer Gesamtaufnahme mit einer totalen Belichtungszeit von 0,05 Sekunden aufaddiert wurden.“ Die einzelnen Belichtungen sind synchronisiert mit der Drehung der Kupplung, damit das Bild jedes Mal bei exakt derselben Lamellenposition ausgelöst wird. Grünzweig spricht hierbei von dynamischer Neutronenradiografie.

Als Experimentierplatz wurde die Strahllinie ICON an der Spallationsneutronenquelle SINQ am PSI genutzt. Die Grossforschungsanlage dient somit nicht nur der wissenschaftlichen Grundlagenforschung, sondern hilft auch direkt mit, die Zuverlässigkeit von Motorradkupplungen zu verbessern.

(Paul Scherrer Institut (PSI), 04.04.2013 – KBE)

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